Die Nachkriegsgeneration: Kinder der Dingwelt.
Selbstverdinglichung, der Versuch, die Last, die auf uns liegt, durch Abwälzung auf andere (durchs Schuldverschubsystem) zu reduzieren, potenziert die Last.
Rechts und Links nicht unterscheiden können: Die Umkehr wird in der Regel auf die Beziehung zwischen vorn und hinten (im Angesicht und hinter dem Rücken) oder oben und unten (Gott und Kreatur) bezogen, nicht auf die von rechts und links (über die ich, wie es scheint, nichts vermag). Rechts und Links: Diese Umkehr wäre die Bekehrung des Andern, ein Motiv, das die Kirchen – über das Verfahren der Mission – zu willigen Helfern des Imperialismus gemacht hat. Aber gibt es nicht auch das andere Motiv, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, und daß über die Bekehrung des einen Sünders größere Freude in den Himmeln herrscht als über 99 Gerechte?
Hängt die Blut-Symbolik (das Abwaschen der Sünde, das Reinwaschen der Kleider durchs Blut des Lammes, aber auch die Blut-Symbolik in der Thora und bei den Propheten) mit diesem Rechts-Links-Paradigma zu tun? Ist sie vielleicht nur so vom Schein der Metzgertheologie zu befreien? Liegt hier die Lösung des Rätsels des Rassismus (das selbst bei Rosenzweig in einer Weise anklingt, die nach Auschwitz unerträglich geworden ist)? Liegt an der Frage der Unterscheidung von Rechts und Links die Umkehr Gottes (die Möglichkeit einer Theologie im Angesicht Gottes)? Unsere eigene Seele ist in den Wegen des Irrtums des Sünders (in den subjektiven Formen der Anschauung, in der Logik des Geldes und in der Bekenntnislogik) mit gefangen.
Oh wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß: Enthält das Gespräch, das Heisenberg im Krieg mit Nils Bohr geführt hat, den Schlüssel zum Verständnis des Versuchs, nach dem Krieg eine „einheitliche Weltformel“ zu entwickeln? Hat sich das nationalistische Erbe in diesen hilflosen Versuch, Einstein zu übertrumpfen, zurückgezogen, verkapselt und in einen Objektivismus entstellt, der seitdem endgültig nicht nur die Naturwissenschaften, sondern die Welt verhext?
Stand der Aufklärung: Heute reden alle übereinander, weil sie die allgemeine pathologische Empfindlichkeit daran hindert, mit einander zu sprechen. Selbst die Theologie ist zur „Rede von Gott“ verkommen.
Am Beispiel des Begriffs der Empfindung wäre nachzuweisen, daß der historische Subjektivierungsprozeß (die Rückseite des Objektivierungsprozesses) ein Vergiftungsprozeß ist. Der Begriff der Empfindung verweist auf die pathologisierende Gewalt der Aufklärung, die zu reflektieren wäre. Statt dessen haben die Nachfolger der kritischen Theorie die Dialektik der Aufklärung liquidiert.
Hängen nicht die Objekte der Subjektivierung: Empfindung, Kritik und Schuld, wie der Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang mit einander zusammen?
Gesellschaftskritik als Waffe ist ein Instrument der Potenzierung des Kritisierten, Gesellschaftskritik hat nur ein Recht als Mittel der Reflexion.
Die Subjektivierung der Empfindungen, der Meinungen und der Schuldgefühle sind Attribute der Feindbildlogik.
Hat nicht Paul Watzlawik zum Gespräch zwischen Heisenberg und Bohr ein aufhellendes Beispiel geliefert, das nur den einen Mangel hat, das es nur die Psychologie, nicht die Logik dieses Gesprächs beleuchtet?
Verstricken sich nicht die „Alternativen“, die außerhalb des Systems (in der Natur oder in der Religion) die Nischen einer „heilen Welt“ suchen, eben damit in den Netzen des Systems? Sie möchten dem Schuldzusammenhang nur entrinnen, anstatt der Mühe sich zu unterziehen, ihn durch Reflexion zu sprengen.
„In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“: Liegt der Unterschied zwischen Jonas und Tobias vielleicht nur in dieser Frist?
Ersetzt nicht der Begriff der Buße, und zwar schon im Namen der lateinischen paenitentia, die Umkehr durch die Selbstbestrafung, durch die Verinnerlichung von Herrschaft? Buße ist gnadenlos.
Drückt nicht in der Darstellung der Buße im Buch Jona in der Tat die Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, sich aus?
Haben Rechts und Links mit Tod und Auferstehung zu tun, und die Unterscheidung von Rechts und Links mit der Umkehr Gottes?
Es gehört zur Logik der Unsterblichkeitslehre, daß sie mit dem eigenen Tod den der Anderen verharmlost, in Kauf nimmt, daß sie hilft, den Verdrängungsprozeß gegen die Vergangenheit zu legitimieren: die Finsternis zu befördern. Ist die Finsternis das Licht der Aufklärung (der Begriff der Klarheit erinnert an die klaren Verhältnisse, die das Feindbild hervorbringt)?
Zur Geschichte der Aufklärung gehört das Bild der Wilden wie zum Ursprung der Philosophie das der Barbaren. Sind die Wilden das Produkt der Hellenisierung der Barbaren, die nur durchs Christentum möglich war?
Ist der Streit in der Prozeßgruppe ein nachträglicher Sieg Hembergers und Schiefersteins, eine Folge der Unfähigkeit, das, was im Prozeß passiert ist, zu reflektieren? Und macht uns nicht unsere Empfindlichkeit zu Marionetten des Systems, zu willigen Vollstreckern der BANK, DIE IMMER GEWINNT?
Watzlawick
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9.3.1997
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