Wittgenstein

  • 22.3.1997

    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Kopernikus hat den Fall universal gemacht. Die Vertreibung des Lichts ist die Grundlage (und das Ergebnis) der kopernikanischen Wende („…, der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ – „Ihr seid das Licht der Welt“).
    Der Kelch bildet sich mit dem Blick von oben (mit dem Begriff, der das Objekt unter sich subsumiert). Das Ding, das Objekt ist das Subjekt des Falls. Der Fall ist das Korrelat des Herrendenkens, der Ausgrenzung der Barmherzigkeit (Barmherzigkeit ist eine Sprachqualität: die Sprachqualität der Theologie im Angesicht Gottes).
    Der Kelch (das Instrument der Instrumentalisierung) ist das Produkt der Trennung von Gericht und Barmherzigkeit: der Unfähigkeit zur Reflexion des Lichts.
    Das politische Denken (das Trinken des Kelches) ist das Werk Babylons, Ägypten (Pharao, das große Haus) symbolisiert den Ursprung der Ökonomie (das Sklavenhaus). – Hat nicht die Kirche, als sie zur Staatsreligion des Römischen Imperiums wurde, das Erbe Ägyptens (Mizrajims) angetreten und das Sklavenhaus verinnerlicht?
    Wer glaubt, die Bibel durch sprachliche „Verbesserungen“ (wie die Einfügung von „Schwestern“ in die Apostelbriefe) modernisieren zu können, verkennt ihren objektiven Charakter (die Zuordnung der „Erfüllung der Schrift“ zur Passion und zum Kreuzestod Jesu). Er sucht in der Schrift nicht Erkenntnis, sondern Trost, er sucht eine Moral, die ihn unschuldig macht, indem sie ihn der Verantwortung (und damit der Schuld) enthebt. Die Schrift unterscheidet sich von staatlichen Gesetzen und Erlassen, daß es in ihr nicht um die Verteilung von Pfründen und Privilegien geht, sondern um eine Erkenntnis, die die Reflexionsfähigkeit voraussetzt und begründet: Deshalb sind die „Brüder“ angesprochen (und deshalb heißt es von den Vätern: Laß die Toten ihre Toten begraben), während Maria Magdalena die einzige ist, die die Umkehr vollzogen hat, und nur die Frauen haben dem Anblick des Gekreuzigten standgehalten.
    Ist es nicht überhaupt das falsche Verhältnis zur Schrift (die falsche Prophetie, die zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache), das sich nur konsumtiv zur Schrift verhält, die Schrift unter dem Symbol des Kelchs glaubt begreifen zu können („… ihr werdet den Kelch trinken“)? Wer die Schrift als Trost mißbraucht, macht sie auf falsche Weise gegenwärtig, er macht sie zum Präsens und löscht das Licht der Offenbarung (den Imperativ der Attribute Gottes). Ist nicht die Apokalypse das einzige Heilmittel gegen das Präsens und gegen die Gewalt des Neutrums?
    Wo heißt es, daß Golgatha, Ägypten und Sodom der Ort ist, an dem der Herr gekreuzigt wurde?
    Die Logik des Wissens ist die Logik des Falls, sie entlastet von der Last der Barmherzigkeit, allerdings um den Preis der Paranoia (das Dogma, die Orthodoxie, subsumiert den „Glauben“ unter die Logik des Wissens).
    Die RAF hat seit je nur Präventivschläge geführt, und die waren immer falsch. Sie glaubte, alles im Voraus wissen zu können (zu müssen), nur so war für sie alles klar (ließen sich „klare Fronten“ herstellen). Das Im-Voraus-Wissen, die Verkörperung und der Grund des Wissens überhaupt, steht Bann des Feindbildes.

  • 21.3.1997

    Die Sprache steht der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern sie ist in sie verflochten und verstrickt. Wenn die Wirklichkeit außerhalb der Sprache und gegen sie sich zu behaupten scheint, so fällt dieses „außerhalb“ noch in die Sprache: als Objekt und Korrelat des richtenden Urteils. Die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt sind die Statthalter des richtenden Urteils.
    Wenn die Sprachgeschichte ein Teil der Herrschaftsgeschichte ist, dann ein subversiver.
    Das Huygens’sche Relativitätsprinzip ist ein Grenzfall des Einstein’schen, gültig im Bereich von (im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit) niedrigen Geschwindigkeiten. Entspricht hier nicht die Grenze, die die beiden Relativitätsprinzipien trennt und unterscheidet, der Grenze, die zwei Dimensionen des Raumes von einander trennt und unterscheidet? Sie bezeichnet einen zweiten Akt des Objektivationsprozesses. Nicht das selbe, sondern nur das gleiche Inertialsystem verbindet die Mechanik mit der Elektrodynamik und der Mikrophysik. – Oder ist es nicht schon das dritte: ist das zweite das des Gravitationsgesetzes?
    Ist der Begriff des Falls im ersten Satz des Wittgenstein’schen Tractatus logico-philosophicus ein Produkt dieser dreifachen Objektivation? Das physikalische Äquivalent des Wittgenstein’schen Satzes ist die Einstein’sche Identität von träger und schwerer Masse.
    Urteile werden gefällt: Was gefällt wird, wird zu Fall gebracht.
    Sind nicht alle Begriffe, mit deren Hilfe mikrophysikalischen Erscheinungen und Prozesse beschrieben werden, metaphorische Begriffe?
    In dem Vergleich der Nachkommenschaft Abrahams mit den Sternen des Himmels und dem Sand am Meer steckt ein logisches Problem: das der Pluralität.
    Wie hängt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ mit der Weizsäckerschen „Explosion von Genie“ zusammen (nach Kant ist die Natur im Subjekt die Produktivkraft des Genies)?
    Wer das Problem der deutschen Fraktion der Kopenhagener Schule nur unter dem Gesichtswinkel schuldig/nicht schuldig sieht, verfehlt die Sache. Beginnt die wirkliche Schuld nicht erst in der Unfähigkeit, post festum die eigene Verstrickung (die in actu unsichtbar war) zu reflektieren: in der Geschichte der Verdrängung?
    Blochs Satz „Der Anfang wird am Ende sein“ rührt an einen zentralen Sachverhalt: Die Geschichte der Aufklärung hat den Anfang ins Ende transformiert, und das über einen Akt, der die Wahrnehmung dieses Vorgangs zugleich verhindert hat, weil er im Kern des Objektivierungsprozesses selber sich vollzogen hat, in der Bildung der subjektiven Form der inneren Anschauung, der Vorstellung des Zeitkontinuums (der Idee des „Überzeitlichen“). Hierin gründet der Tatbestand, auf den der Satz sich bezieht: Alle tun ihre Pflicht, aber keiner weiß, was er tut. Deshalb ist die bloße Verurteilung des Faschismus ein Instrument der Umkehrverhinderung.
    Der Ursprung der Umkehrverhinderung liegt in der kopernikanischen Wende: Seit der Konstituierung der Raumvorstellung (die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet und stabilisiert) führt jede Umkehr in die gleiche Scheiße zurück; seitdem ist die Zukunft wie die Vergangenheit. Die kopernikanische Wende hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: den Begriff vom Namen getrennt und den Namen vernichtet (die Zerstörung des Tempels, bei der kein Stein auf dem andern geblieben ist).
    Wo war in der Zeit der Richter die Bundeslade?
    Der Nachkriegs-Atheismus gründet in der Zwangslogik des Sich-tot-Stellens. Er kündigte sich an in Heideggers „Vorlaufen in den Tod“. Die Religion, von der der Fundamentalismus nicht lassen will, ist eine Religion für andere.
    Gehört nicht Weizsäcker zu den Protagonisten eines Diskurses über „Religion und Naturwissenschaft“, der es in erster Linie darum geht, ähnlich wie einmal die „spekulative Physik“ Einsteins, so jetzt auch die Religion so kurz und klein zu diskutieren, daß sie praktisch nicht mehr vorkommt, daß mit der Religion die Kraft des Eingedenkens, der Erinnerung, verschwindet. Dieser Diskurs steckt so im Bann der Rechtfertigungszwänge, die sehr konkrete Ursachen haben, daß er als Beleg für die Traditionszerstörung durch den Antisemitismus genutzt werden kann. Die deutsche Fraktion der Kopenhagener Schule war eine „deutsche Physik“, die Kreide gefressen hat.
    Heute breitet das Täter-Opfer-Paradigma sich aus: Die Deutschen, die Christen, die Männer, die Väter, die „Besserverdiener“, sie alle haben allen Grund, dieses Paradigma zu reflektieren. Haben nicht die Exkulpationslogiken, die diese Täter-Opfer-Paradigmen erzeugen, etwas mit dem Stand der „Aufklärung“, die seit je auf „klare Fronten“ abzielte: mit dem Stand der Geschichte der Herrschaftslogik, etwas zu tun?
    Wenn Hitler im Atheismus überlebt, dann gibt es zur Reflexion der Naturwissenschaften keine Alternative mehr. Hier werden die „Wege des Irrtums“ erstmals lesbar.
    Die Logik des Traums des Nebukadnezar läßt sich an der Beziehung der Astrologie zur Astronomie demonstrieren: Die Astronomie ist das Instrument des Vergessens; vergessen wurde die Astrologie, die den Traum bezeichnet, der zu deuten wäre.
    Astrologie und Astronomie lassen sich durch ihre Beziehung zur traditionellen Wahrheitsdefinition bestimmen: Die Astrologie hat die „adäquatio intellectus ad rem“ eröffnet, die Astronomie die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“.
    Das Urteil im Hogefeld-Prozeß hat im Umkreis der RAF eine ähnliche Wirkung ausgelöst wie die „Schüsse an der Startbahn“ auf die Anti-Startbahn-Bewegung. In beiden Fällen gab es den aufgescheuchten Hühnerhaufen. Verweist das nicht sehr deutlich auf die Beziehung von Urteil und Mord? In jedem Urteil, auch nach der Abschaffung der Todesstrafe, steckt ein Todesurteil. Deshalb gehört der Mord als Täterdelikt zu den Grundlagen des Strafrechts, zu den Säulen des Strafrechts.
    Der Rechtsstaat ist der säkularisierte Faschismus.
    Was hat Paulus gemeint, als er die drei Apostel in Jerusalem, Petrus, Jakobus und Johannes, die „drei Säulen“ nannte? Und was bedeuten eigentlich die Verdoppelungen und Verschiebungen in der Urgeschichte des Christentums:
    – beim Jakobus (Zebedäussohn, Sohn des Alphäus, Herrenbruder – wer ist der Autor des Jakobusbriefs?)
    – Simon (S. Petrus, Kananäus -> Nathanael?)
    – Johannes (der Täufer, Zebedäussohn)
    – Judas (Thaddäus, Sohn/Bruder des Jakobus, Herrenbruder, J. Iskarioth – sind Thaddäus, der des Jakobus und der Herrenbruder eins, wer ist der Autor des Judasbriefs)
    – Philippus (Apostel, einer der Diakone)
    – was ist mit Levi/Matthäus?
    Ist es möglich, aus den vier Evangelien und der Apostelgeschichte eine einheitliche Apostelliste aufzustellen?
    In der Nacht sind alle Katzen grau: Hat dieses Grau etwas mit dem „Grauen um und um“ bei Jeremias zu tun?

  • 3.3.1997

    Hat Matthäus mit den drei Magiern aus dem Orient den Daniel auf den Kopf gestellt?
    Sprache und Schrift: Hängt der apokalyptische Begriff der Sprachen (in der Konstellation Völker, Stämme, Nationen und S.) mit der jakobinischen „Zunge“ (vgl. auch Paulus‘ Glossolalie, „Zungenreden“) zusammen? Findet nicht die Sprache, wenn man den Namen der Offenbarung ernst nimmt, ihre Begründung in der Schrift; und macht nicht der Begriff der semitischen Sprachen – wie anhand von Bibel und Koran sich demonstrieren läßt – das Ungleichnamige gleichnamig; ist nicht der Koran, und in seiner Folge die christliche Koranisierung der Bibel, die Wurzel der kopernikanisch-newtonschen Revolution? Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, heißt das nicht, daß dann die himmlische Wurzel der Sprache in dieser Schrift lesbar wird, und daß darin, in diesem Buch, jeder sich selbst erkennt – und das ist das Gericht?
    Wenn heute Regierung durch Verwaltung ersetzt wird, ist das nicht der deutlichste Hinweis auf die innere Pluralität des Weltbegriffs (sein stummes Inneres)?
    Das Geschwätz ist die zwanghafte Folge der Unfähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen: deshalb muß das Geschwätz die Andern vergegenständlichen, sie zu Objekten von Urteilen machen („über“ andere reden). Nur so glaubt man, die „aufdringlichen“ Andern, deren Aufdringlichkeit im Schuldverschubsystem gründet: in der gegenständlichen Erinnerung an das, was man in sich selbst verdrängen mußte, sich vom Leibe halten zu können.
    Barmherzigkeit ist die Arbeit des Gebärens.
    Sind nicht eigentlich alle Richtungsgegensätze, oben und unten, vorn und hinten, rechts und links, asymmetrische Spiegelungen, vergleichbar der Beziehung von Vater und Sohn? Und gründet nicht die neutralisierte Form des Raumes (die subjektive Form der äußeren Anschauung) in der Neutralisierung dieser Gegensätze: in der Idee der Brüderlichkeit? – Die brüderliche Welt ist die Wolfswelt.
    „Patientengut“ (ein Begriff aus einer Sammlung medizinischer Aufsätze): Sind Krankenhäuser Lagerhäuser für Patientengut (das mit dem Tod der Patienten zu herrenlosem Gut wird, das dann der medizinischen Verwertung zugeführt werden kann; die „ethische“ Diskussion um den Hirntod ist eine verwaltungsinterne Diskussion)? Hieran wäre das sprachlogische Problem der Instrumentalisierung und die Bedeutung des Begriffs des Falls im ersten Satz des Wittgestein’schen Tractatus logico-philosophicus zu demonstrieren. Der Hinweis auf die lebensrettende Bedeutung der Bereitstellung von Organen ist wahr und zynisch zugleich. Der Begriff Patientengut drückt genau diesen zweideutigen Aspekt, die Subsumtion der Krankheit unters Wertgesetz, aus.
    Gibt es nicht inzwischen „Krankheiten“, die nachweislich nur noch ein Alibi für die lukrative medizinische Dauerverwertung der Hypochondrie und der Ausweitung der Nutzungskapazität der Apparatemedizin sind? Und spielt hier nicht ein Aspekt des Begriffs der Objektivität mit herein, der auf das Bedürfnis nach Schuldentlastung und auf die Mechanismen des Schuldverschubsystems (auf die kollektive Wirksamkeit von Rechtfertigungszwängen) verweist, ein Kontext, den das medizinische (wie sonst auch das technische) Vokabular wirksam verschleiert?
    Hängt die Vorstellung des unendlichen Raumes nicht mit dem Bedürfnis nach logischer Fundierung des Schuldverschubsystems zusammen (Zusammenhang mit dem Namen des Angesichts und dem biblischen Motiv der sieben unreinen Geister und der sieben Siegel)? Abgesichert wird diese logische Fundierung durch die Universalisierung des Gravitationsgesetzes. Das Resultat dieser Schuldverschiebung wird lesbar, wenn der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt.
    Das Subjekt der symbolischen Erfahrung (der Spracherfahrung) ist die Barmherzigkeit.
    Zur Kritik der Naturwissenschaften vgl. Kants Antinomien der reinen Vernunft (und die Unerkennbarkeit der Dinge an sich), Levinas‘ Asymmetrie und Ferdinand Ebners „Ich-Einsamkeit“.
    Intersubjektivität und Bekenntnislogik: die Gemeinschaft, auf die beide sich beziehen, ist die Gemeinschaft der Einsamen, des kollektiven Nicht-Ich (ein Hochsicherheitstrakt). Der Repräsentant dieser Gemeinschaft im Subjekt sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist die Welt.
    Der „innere Schweinehund“ ist das, was uns daran hindert, die „Pflichten“ der Selbsterhaltung zu erfüllen; und gehört dazu nicht auch die Barmherzigkeit (das, was die Nazis „Humanitätsduselei“ nannten)?

  • 12.2.1997

    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Hat Wittgensteins Philosophie etwas mit dem Allgemeinen Relativitätsprinzip zu tun, ist sie die Verkörperung des frei fallenden Fahrstuhls?
    Die Christen haben seit der Eingliederung der Kirche ins römische Imperium (seit der Konstituierung der Theologie hinter dem Rücken Gottes) die Erlösung mit der Euphorie in dem frei fallenden Fahrstuhl verwechselt. Mit der zentralen Funktion des Falls in der Logik der Theologie hinter dem Rücken Gottes hängt es zusammen, wenn für diese Theologie die Hölle seit je realer war als der Himmel.
    Antisemitismus: Der Zustand der Welt reißt die Institutionen in den Abgrund, in denen die Hoffnung sich verkörpert. Der Mechanismus des „Beweises“: die sind auch nicht besser, zerstört alles.
    Als die moderne Aufklärung die Unendlichkeit von Raum und Zeit „bewiesen“ hatte, gab es kein Halten mehr.
    Diese Logik ist die der Personalisierung, die H.G. Kippenberg soziologisch an der Figur des am ha’arez festmachen möchte (am Königsland, am Modell des Königs als Schützer der Armen), damit aber mit Hilfe der gleichen Logik erklärt, die er eigentlich selbst erklären müßte, aber nicht durchschaut. Beziehen sich die Gleichnisse Jesu, auf die er verweist, wirklich alle auf die Situation der Landbevölkerung im Königsland, nicht auch auf den Großgrundbesitz von Stadtbewohnern?
    Die Logik der Personalisierung ist ein Teil der Bequemlichkeit und des Komforts, die heute zu Grundlagen der Weltanschauungen und damit mörderisch geworden sind.
    Löwengrube und Feuerofen: Die Wirkung der Medien läßt sich heute sowohl unterm Bilde des Drachenfutters wie unter dem des Brennmaterials, mit dem der Feuerofen geheizt wird, fassen. Als die Nazis das gesunde Volksempfinden ins Recht einführten, haben sie im Recht die Feuer der Hölle entzündet, und diese Feuer werden heute weiter genährt. Der Feuerofen, das ist der Ofen der Empörung. An der Empörung nährt sich der Rachetrieb (sie ist nicht seine Wurzel, nur sein Alibi).
    Die räumlich-dingliche Höllenvorstellung ist ein logisches Sinnesimplikat der Theologie hinter dem Rücken Gottes.
    Die Himmel: Das ist kein Pluralis, sondern ein Dualis (schamajim, wie auch Mizrajim). Drückt darin das Verhältnis von Gericht und Barmherzigkeit sich aus? Ist das Wasser das Gericht (und steckt nicht in dem Thales’schen „Alles ist Wasser“ schon das Inertialsystem), und das Feuer die Barmherzigkeit (das Feuer des Himmels, das die Kirche in die Hölle projiziert hat)?
    Ist das Licht der Realgrund der Sprache?
    Die Sinnfrage entscheidet sich nach dem Adressaten: Der Sinn für mich (der Sinn von Sein, aber auch jede sinnliche Qualität) ist zu unterscheiden vom Sinn an sich: vom Namen Gottes.
    Wie hängt die Sinnfrage mit der Sinnlichkeit zusammen?

  • 8.2.1997

    Im Begriff des Endes der Offenbarung steckt auch ein politischer, ein herrschaftsgeschichtlicher Sachverhalt.
    Ist die kasuistische Auslegung der Thora (z.B. der Sklavengesetze) nicht anachronistisch? Ist aus dem Wort „hebräische Sklaven“ wirklich herauszulesen, daß andere, „nicht-hebräische“ Sklaven nicht unter die Sabbatjahr-Regelung fallen? Gilt die Kasuistik nicht erst in einer Welt, die „alles (ist), was der Fall ist“?
    Hat nicht die Sklavenbefreiung im Sabbatjahr etwas mit der Utopie der Befreiung Israels aus der babylonischen Gefangenschaft zu tun?
    Ist das Feuer, das Jesus vom Himmel holen wollte, und er wollte, es brennte schon, das Feuer der Barmherzigkeit: das Gericht über das gnadenlose Weltgericht?
    Ödipuskomplex: Der Sohn, der die Mutter heiraten will, will die Erinnerung ihres Angesichts löschen. Die Suche nach der verlorenen Zeit, ist das nicht die Suche nach dem verlorenen Angesicht?
    Das Bilderverbot entzieht dem Nationalismus den logischen Grund. Und der Kampf gegen die Idolatrie ist der Kampf gegen die Wurzeln des Nationalismus: gegen das Tier und gegen die Einheit der Welt. Der Hegel’schen Logik und der Idee des Absoluten, die eigentlich nur die Reprise der Logik ist, ist der Nationalismus einbeschrieben.
    Judas, die Salbung Jesu und das Geld: Die Schätzung des Geldes, die daran sich orientiert, was man mit Geld alles machen kann, gründet in der Privatsphäre, in der das Geld allein als Mittel des Konsums und als unschuldiger Anteil an der Herrschaft über andere und über die Güter der Welt wahrgenommen wird, als Verfügungsmacht. An dieses Konstrukt knüpft das Evangelium den Verrat. Ist es nicht das gleiche Konstrukt, das heute unter dem Stichwort Privatisierung seinen Beitrag zur Verrottung des längst abgestorbenen und gleichwohl weiterbestehenden Staates leistet?
    Die Relativitätstheorien Einsteins: der Sabbat der Physik?
    Die Allmachtsphantasien der Verwaltung stehen in einem logischen Zusammenhang mit den Exkulpationsstrategien, die das Verwaltungshandeln determinieren und beherrschen. Entscheidend ist, so zu handeln, daß niemand verantwortlich gemacht werden kann für das, was er tut. Darin gleichen die Regeln und Gesetze, die das Verwaltungshandeln bestimmen, der Unwiderlegbarkeit, die die Hegel’sche Logik auszeichnet. Der gleiche Mechanismus beherrscht und dirigiert die Entfaltung der Naturwissenschaften.

  • 6.2.1997

    Das Gravitationsgesetz ist der konsequenteste Ausdruck dafür, daß der Fall zur Norm geworden ist. Seit Kopernikus/Newton ist die Welt „alles, was der Fall ist“.
    Die Planetensystem sind Normensysteme, und die Wege des Irrtums (die Planetenbahnen) sind gesetzlich (durch Normen) determinierte Wege, die durch Universalisierung der Gebote zu Normen zu gesetzlich determinierten Wegen geworden sind. (Venuskatastrophe: die Katastrophe der Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral, ihre Instrumentalisierung im Kontext der Logik von Anklage, Urteil und Strafe, der Herrschaftslogik und des Staates.)
    Der biblische Ankläger war schon der „Staatsanwalt“, der Anwalt Babylons.
    Die Geschichte der Aufklärung ist auch eine Geschichte der Entwertung von Erfahrung. Diese Geschichte beginnt mit der christlichen „Überwindung“ der Vergangenheiten, die insgesamt (als heidnische wie als jüdische) zum Irrtum erklärt wird.
    Haben nicht alle Hegelianer eines von ihrem Meister gelernt: daß es eine Logik des Unwiderlegbaren gibt? Die Unwiderlegbarkeit aber ist der blinde Fleck der Hegel’schen Philosophie. Aus der Hegelschen Philosophie gibt es – wie aus dem das Planetensystem beherrschenden Gravitationsgesetz – keinen Ausweg. Notwendig wäre die Reflexion der Beweislogik: der Versuch, Licht in den blinden Fleck der Logik hineinzubringen.
    Das Modell des Unwiderlegbaren sind die subjektiven Formen der Anschauung, die selber erst im Kontext der Gravitationstheorie sich konstituieren (deshalb gehört die Kritik der Naturwissenschaften heute zur Rekonstruktion der Philosophie).
    Alle zentralen Motive der Hegelschen Logik (und das reicht zurück in die Phänomenologie des Geistes) sind angelegt in der Kantischen Antinomienlehre, der der Widerspruch in der logischen Gewalt der Norm zugrundeliegt, die Verdrängung, die den Akt der Transformation des Gebots in die Norm, ins Gesetz, begleitet (Dekonstruktion des apagogischen Beweises).
    Habermas‘ Kommunikationstheorie findet den Schein ihrer Begründung darin, daß sie mit dem Konstrukt des performativen Charakters der Sprache, die seinem Konzept der Intersubjektivität zugrundeliegt, zwei Momente mit einander vermischt, die streng getrennt zu halten sind: die Logik der Anschauung mit der der erkennenden Kraft des Namens. Die Anschauung ist intersubjektiv, aber in der Anschauung ist jeder für sich, ist das Subjekt Monade, ist es fensterlos. Die Gemeinschaft der sprechenden Subjekte, und in ihr die kommunikative Kraft der Sprache, gründet in der Kraft des Namens, durch die die Sprache in den Kern der Sache selbst hereinreicht, durch die sie mehr ist als bloßes Raisonnement. Habermas‘ Anstrengungen werden absorbiert von der Strategie, den Widerspruch, den er zu fühlen scheint, den aber nicht mehr zu reflektieren wagt, nicht laut werden zu lassen. Es ist der Selbstwiderspruch der instrumentellen Vernunft, der ihn, weil er ihn nicht mehr reflektieren darf, zur kommunikativen Instrumentalisierung der Vernunft zwingt.
    In der jüdischen Geschichte ist Esra, der erste Schriftgelehrte, auch der Begründer der Thorarepublik. Ist nicht die Apokalypse die Korrektur der Institution des Schriftgelehrten?
    Die analogia entis war des logische Instrument, das es ermöglichte, die Beziehung der beiden Welten, dieser Welt und der zukünftigen Welt, aus der Zeit in den Raum zu transformieren. Sie lieferte die Begründung des katholischen Mythos von Himmel und Hölle.
    Läßt nicht die Bewegung der Grünen daraus sich herleiten, daß sie, um überhaupt noch ein Kriterium für Kritik, deren Notwendigkeit sich nicht mehr verdrängen läßt, zu haben, die Utopie, die Idee der richtigen Gesellschaft, die nicht mehr sich halten läßt, durch „die Natur“ ersetzt? Aber wird so die Natur nicht zu einem gesetzlich geschützten Bereich, in dem am Ende die Menschen nicht mehr vorkommen?
    Haftpflichtversicherung: Gibt es nicht einen Zusammenhang zwischen der Versicherungslogik, die vor unliebsamen Zufällen schützen soll, und der „Delegation von Verantwortung“, die eigentlich die Entlastung von Verantwortung meint? So wird im Naturschutzgebiet Mönchbruch ein Spazierweg deshalb nicht freigegeben, weil dort Bäume sind, die nicht geschlagen werden sollen, weil sie von seltenen Pilzen befallen sind, die aber die Gefahr in sich bergen, daß Äste herabfallen können, die Spaziergänger treffen könnten. Ist der Weg aus Haftpflicht- oder aus Naturschutzgründen gesperrt? Die Natur, die hier geschützt wird, ist eine gesellschaftliche Natur: Geschützt wird der Staat (und werden mit ihm die Forstbeamten) vor möglichen Schadensersatzansprüchen und Regreßforderungen der Bürger.
    Wir leben in einer Welt, in der die Opfer nicht beendet, sondern außer Sichtweite gerückt werden (in den Schlachthäusern, Psychiatrien, Knästen, Altersheimen, Arbeitersiedlungen, in der Dritten Welt). Zugleich werden die, die die Dreckarbeit zu verrichten haben, soweit es nicht – wie bei der Müllabfuhr – Ausländer sind, in Uniformen gesteckt und unter Ehrenschutz gestellt (Polizei, Militär). Dieser Ehrenschutz ist eigentlich nur ein Wahrnehmungsverbot.
    Ist das Kausalitätsprinzip der vergegenständlichte, ins neutrale verschobene Rachetrieb? Wenn es eine objektive Form der Verdrängung gibt, dann gibt es auch ein Objekt für die Idee der Auferstehung der Toten.
    Man darf die Verwaltungskritik nicht den Liberalen überlassen. Eines der verhängnisvollsten Versäumnisse des real existierenden Sozialismus war der Verzicht auf die Reflexion der Herrschaftsinstrumente, insbesondere der Verwaltung, die nicht zuletzt hier zur Reproduktionsstätte der Gemeinheit sich entwickelt hat.
    Daß es beim Startbahnbau wie in Garzweiler und wie bei den Atomkraftwerken auch um Arbeitsplätze geht, ist ein Argument, das ernst zu nehmen ist. Aber ist es nicht das gleiche Argument, das in andern Zusammenhängen als Triebkraft für Amokläufe sich erweist: so in der Sozialstaatsdebatte, unter den Stichworten: Gesundheitsreform, Rentenreform, Steuerreform?
    Walter Benjamins Bemerkung, daß der Kleinbürger Teufel und arme Seele zugleich sei, wäre heute zu ergänzen: Wird er nicht umso mehr zum Teufel, je mehr er sich als arme Seele erfährt?
    Waren nicht die Mysterienkulte (auch eine Form der „Erlösungsreligion“) insbesondere beim Militär verbreitet? Merkwürdig, daß dieser Sachverhalt beim Kippenberg nicht erscheint. Und wie verhalten sich die „Erlösungsreligionen“ zu den mantischen Praktiken, zum Augurenwesen, zur Astrologie, zu den Weissagern, die dann von den Caesaren verboten wurden?

  • 5.2.1997

    Wenn ich weiß, wie etwas geht, beherrsche ich die Sache. Das Wie eröffnet die Herrschaftsfrage. So paßt die Frage Leopold von Rankes, wie es denn eigentlich gewesen sei, zu seiner These, daß alle Geschichte unmittelbar zu Gott ist: Sie macht den Historiker zum lieben Gott, zum ohnmächtigen Herrn der Geschichte.
    Sind Seraphim und Cherubim die Verkörperungen von Wasser und Feuer? Daniel hatte das Gesicht vom Widder und vom Ziegenbock in der Burg Susa, die in der Landschaft Elam liegt, am Flusse Ulai (Ezechiel hatte seine Merkaba-Vision am Flusse Kebar). Hat der Strom im Paradies, der sich „von da aus“ in vier Arme teilt, etwas mit den vier Himmelsrichtungen und der Sündenfall etwas mit der Norm auf der Ebene, die durch die vier Richtungen sich konstituiert, zu tun?
    Die kirchliche Unsterblichkeitslehre, die Vorstellung, ich könnte selig werden, auch wenn die Welt im Argen liegt, begründet eine autoritäre, ins Private gebannte Weltsicht: Die Welt und die Andern gehen dich nichts an, aber du sei brav! Eine Weltsicht, in deren Kontext es „Erlösung“ nur durch die Reproduktion des autoritären Charakters gibt.
    Bezieht sich das apokalyptische Motiv des Erdbebens auf die ruhende Gegenständlichkeit, die Rosenzweig als das Bild der Vergangenheit erkannte? Und ist diese ruhende Gegenständlichkeit des Vergangenen (in die die Historisierung, die objektivierende Erforschung des Nationalsozialismus auch Auschwitz zu transformieren versucht) nicht sprachlogisch vermittelt, gründet sie nicht im indoeuropäischen Perfekt, in der Sprachform der „vollendeten Vergangenheit“? Und ist nicht die Trennung von Natur und Welt (zusammen mit der merkwürdigen Beziehung der Ursprungsgeschichte des Staates zur Objektivierung des Planetensystems) eine logische Hilfskonstruktion zur Stabilisierung dieser vollendeten Vergangenheit? Die Verdrängung und „Vollendung“ der Vergangenheit und die Erzeugung des Scheins der Reversibilität von Oben und Unten hängen zusammen. Hat die Verdrängung der Vergangenheit etwas mit dem Ursprung der Allmachtsphantasien der Verwaltung zu tun?
    Die Vertreibung aus dem Paradies ist das Symbol des Ursprungs der Aufklärung, die Benennung der Tiere durch Adam das Symbol des Ursprungs der Sprache und der Gotteserkenntnis (der Sprache, in der der Name Gottes sich bildet und mitteilt). Gibt es einen Zusammenhang des messianischen Titels des Menschensohns mit dem Namen des Tieres und der Zahl seines Namens, die die Zahl eines Menschen ist? Ist der Menschensohn der Sohn dieses Menschen? Und ist dieser Mensch einer der Väter, an die die Forderung ergeht, zu ihren Kindern sich zu bekehren, und von denen es heißt: Laßt die Toten ihre Toten begraben? Hat nicht die Pseudonymität, der pseudepigraphische Charakter der Apokalypsen, etwas mit der Idee der Auferstehung der Toten zu tun?
    Die Frage der Philosophie war die nach dem Was, die der Naturwissenschaften (und der Historiker) die nach dem Wie. Während die Naturwissenschaftler ihren realen Beitrag zu Naturbeherrschung leisten, sind die Historiker nur die Erben derer, die je geherrscht haben. Der Historiker ist der Feind des Propheten, er beraubt die Prophetie ihres Objekts, für ihn wird die Prophetie gegenstandslos. Hat nicht die kopernikanische Wende dem Historismus vorgearbeitet, hat sie nicht den Himmel gegenstandslos gemacht, indem sie mit dem Was auch das Wer aus dem Himmel ausgetrieben hat? Seit Kopernikus ist die Welt zu allem geworden, was der Fall ist, der Himmel zur reinen Verkörperung des Falls. Das Universum hat die Unterscheidung von Himmel und Erde gelöscht, Wasser und Feuer aus dem Himmel ausgetrieben: Stimmt es, daß der deutsche Name des Himmels mit dem des Hammers zusammenhängt (und das englische heaven mit heavy)?
    Zum Wie: Das Hebräische kennt keinen Komparativ, keine Steigerungsformen (die die Adjektive zu einem sprachlogischen Instrument des Vergleichs machen). So gründet der Sündenfall in der Erkenntnis des Guten und Bösen (den gemeinsam mit dem Ja und Nein entsprungenen Uradjektiven). Ist das Wie der Turm, der bis zum Himmel reicht? Und ist Michael die apokalyptische Antwort auf die Intention des Sündenfalls (die im Turmbau ihr Echo findet), das Werden-wie-Gott (ist Michael nicht der deutlichste Hinweis auf den sprachlogischen Hintergrund der Apokalypse)?
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Ist die Nacktheit, das erste Objekt der Anschauung, nachdem sie vom „Angesicht“ sich löst, nachdem sie sich abwendet, die erste Antwort auf das Wie und damit der Ursprung dieser Frage? Gibt es deshalb „nackte Tatsachen“?

  • 2.2.1997

    Ist die dies dominica der Tag JHWHs: der Tag des Gerichts? Und hat nicht der Säkularisationsprozeß, in den die Geschichte des Christentums verflochten ist, dieses Gericht mit dem Tod gleichgesetzt – mit der vergegenständlichenden Gewalt des Todes in der Ausbildung der Bekenntnislogik und dann der subjektiven Formen der Anschauungen. Die Welt der Naturwissenschaften ist die gerichtete Welt.
    Nachts sind die Sterne eine Orientierungshilfe in der Fremde und auf dem Meer.
    Säkularisation: Durch die subjektiven Formen der Anschauung haben wir den Schrecken in die Dingwelt verschoben, das aber heißt: in der Gesellschaft an jene, die in ihr die Dingwelt repräsentieren.
    Die Grenze der Reversibilität, die das Relativitätsprinzip determiniert, läßt sich an zwei Dingen demonstrieren: am allgemeinen Relativitätsprinzip (an seiner Anwendung auf die Fallbewegung) und an der Beziehung von Objekt und Begriff: die Fallbewegung ist immer nach unten gerichtet und der Begriff ist immer oben. Die Feindbildlogik wird mißverstanden, wenn man glaubt, sie mache die Beziehung von Oben und Unten reversibel (sie mache Oben und Unten gleich). Die Feindbildlogik ist die Waffe der Herrschenden; wer glaubt, sie gegen sie wenden zu können, ist schon in der Falle drin. Die Kritik der Feindbildlogik ist ein Teil der Herrschaftskritik.
    Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, ist ein Produkt der Selbstanwendung des Weltgerichts auf die Welt.
    Ich weiß nicht, ob es eine Auferstehung der Toten geben wird; ich weiß nur das eine, daß, wer sie leugnet, sich mit den Herrschenden gemein macht.
    Nur im Johannes-Evangelium ist an der Gefangennahme Jesu auch ein römische Kohorte beteiligt.
    Ist es nicht merkwürdig, daß die Christen erstmals in Antiochien so genannt wurden? Hat Antiochien etwas mit Antiochus IV. Epiphanes zu tun?
    Strukturwandel der Öffentlichkeit: Wann gab es die Löwengruben, von denen beim Daniel berichtet wird? Und haben nicht die Römer in den Arenen die Löwengruben öffentlich gemacht?
    Gehören nicht die Tempel zur Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit? Und ist nicht der Kampf gegen die Idolatrie ein Teil dieser Geschichte, die zur Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs gehört?
    Die Fläche ist das Medium der geometrischen Rationalität (der Linearität und der Orthogonalität). Diese Rationalität wird stabilisiert durch die Norm: durch die „dritte Dimension“. Erst die Norm zieht die Beziehung zu den Dingen und zur Zeit in die Form des Raumes mit herein (sie fundiert die Anwendbarkeit der Raumvorstellung, ihre Beziehung zur Naturbeherrschung). Die Norm begründet die Beziehung des Raums zur Anschauung: Für die Anschauung (die die intentio recta zur Norm macht) wird die Fläche gegenständlich; die Anschauung rückt die Dinge in den Seitenblick.
    Das Anschauen abstrahiert vom Gegenblick, vom Angesicht; der Anschauende wird angeschaut vom leeren, toten, gesichtslosen Blick der Dinge.
    Der Begriff der Anschauung Gottes ist ein theologisches Konstrukt, kein biblischer Begriff; er gehört zum Kontext der creatio mundi ex nihilo. Die Frage Luthers: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“ gründet in diesem Kontext, ist durch ihn determiniert. Die Anschauung Gottes ist die Anschauung des anschauenden, das aber heißt: des richtenden, nicht des barmherzigen Gottes. Im Kontext der Anschauung wird die Gnade, die objektlos wird, zur Rechtfertigung, die Anschauung begründet den Rechtfertigungszwang.
    Vor Gott gibt es keine Rechtfertigung, nur die Gerechtigkeit; die Rechtfertigung gründet (wie der Schein) im Anblick der Welt.

  • 18.1.1997

    Konnotationen zu Fleisch: Sexualität, Opfer/Fleischessen, hierarchische Ordnung? Ist Venus der fleischliche Planet, mit den genannten „Dimensionen“?
    Nacktheit (und damit auch Keuschheit) ist eine logische, keine ästhetische Kategorie. Die Nacktheit ist das Objekt der Augenlust; zur Fleischeslust gehört die hierarchische Organisation der Welt (ihr Einheitsgesetz, ihr animalischer Kern, die Gewalt). Die Hoffahrt des Lebens ist der Grund und das Siegel der Augen- und Fleischeslust. Der Augenlust opponiert das Hören, der Fleischeslust die Keuschheit und der Hoffahrt des Lebens die Armut. Dem Inertialsystem opponiert die Barmherzigkeit.
    Es gibt einen metaphorischen Gebrauch des Begriffs des Sehens, von dem zu fragen ist, ob er nicht der originale Gebrauch ist, wenn man sagt, daß man etwas klarer sieht, daß einem etwas durchsichtig wird, daß man eine Sache durchschaut.
    Die Auslegung der Johannes-Apokalypse durch Pablo Richard leidet an einer leichten begrifflichen Verwirrung: an seinem unkritischen Gebrauch des Begriffs des Mythos, den er als Gegenbegriff auf den Begriff der Aufklärung anstatt auf die Idee der Offenbarung bezieht.
    Wir können das Licht, die Wärme, die Farben, die Töne, die Materialeigenschaften der Stoffe reproduzieren, wir können Bilder reproduzieren, nur eines läßt sich nicht reproduzieren: die Schwerkraft; wir können einen Vorgang in der Zeit reproduzieren, nicht aber etwas Vergangenes wiederherstellen, es in die Gegenwart zurückrufen. Wie hängt das zusammen mit dem Wittgensteinschen Satz, wonach die Welt alles ist, was der Fall ist?
    In der Schwerkraft gründet die Nicht-Umkehrbarkeit von Oben und Unten und spiegelt sich die Irreversibilität der Zeit.
    Das Reproduzierte (das, was der Fall ist) ist nicht das Original. Aber wird dieser Sachverhalt nicht dadurch verstellt, daß wir das Original bereits als Kopie seiner Kopie wahrnehmen? Ist nicht die ganze Natur die Kopie einer Kopie, die wir inzwischen für das Original halten, weil wir die Differenz nicht mehr erkennen?
    „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“: Gründet die Anwendung dieses Satzes auf die „Sündenvergebung“ im Sinne des Bußsakraments (und damit die ganze „Theologie hinter dem Rücken Gottes“) nicht in dieser Kopie-Kopie-Beziehung, zu der wir das Original nicht mehr kennen? Was ist das, was im Himmel zu lösen wäre?
    Hat die Struktur der Kopie-Kopie-Beziehung etwas mit dem Traum des Nebukadnezar, den Daniel, bevor er ihn deuten konnte, erst reproduzieren mußte, zu tun (oder mit der Beziehung des Mythos zur Idee der Offenbarung)?
    Wie hängt die Verklärung auf dem Berg Tabor, in die auch Moses und Elias mit einbezogen waren, mit der Dramatik der Apokalypse zusammen?

  • 23.12.1996

    Ist der „Seitenblick“ der Sturz vom Tempel, und wird das telos dieses Sturzes nicht aufs genaueste beschrieben in dem fahrenden Zug, dem frei fallenden Fahrstuhl und in dem Planckschen Hohlraum? Verweist der Sturz von der Zinne des Tempels auf den Bann des Objektbegriffs?
    Haben die drei Versuchungen Jesu etwas mit den drei Leugnungen Petri zu tun? Haben nicht die Kirchenväter Steine in Brot zu verwandeln versucht, ist nicht die Scholastik der Verführung der Weltherrschaft erlegen, und hat nicht die Aufklärung sich von der Zinne des Tempels gestürzt? Und sind die beiden letzten Leugnungen/Versuchungen nicht austauschbar (war nicht der scholastische Universalismus schon der Sturz von der Zinne des Tempels, und hat nicht die Aufklärung den Grund für eine neue Gestalt der Weltherrschaft gelegt?
    Die Naturwissenschaften beantworten nur die Frage nach dem Wie, nicht die Frage nach dem Was.
    Hegel, Hölderlin und Schelling haben sich mit der Parole „Reich Gottes“ in Tübingen getrennt. Sie haben vergessen, daß das Reich Gottes auch das Himmelreich ist.
    Ist das Planetensystem (das System der Wege des Irrtums) die Ursprungsgestalt des Inertialsystems?
    Gibt es einen Zusammenhang der Geschichte der mittelalterlichen Engellehre (der Lehre von den Engelhierarchien) mit der Geschichte der Fälschungen im Mittelalter, sind nicht beide schon durch den Namen des Pseudodionysius mit einander verknüpft?
    Die Einstein’schen Relativitätstheorien sind Konstrukte, die die Naturwissenschaften im Kern angreifen: die spezielle Relativitätstheorie das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum, und damit den Raum selber, und die allgemeine Relativitätstheorie die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, und damit die den Naturwissenschaften zugrunde liegende Zeitvorstellung?
    Zielt nicht der Unschuldstrieb auf die Leugnung des Jüngsten Gerichts? Jedoch: Nicht die Unschuld, sondern die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Unschuldstrieb mobilisiert die Rechtfertigungszwänge, die zu den beschleunigenden Kräften des fallenden Fahrstuhls gehören, während die Barmherzigkeit den Schleier des Verblendungszusammenhangs, dem der Unschuldstrieb verfallen ist, zerreißt. Die Barmherzigkeit ist der Anfang der Erfüllung des Wortes „Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae“.
    Was heißt das: Stephanus sah den Himmel offen, während Paulus, der in den dritten Himmel entrückt war, Kenntnis von den Elementarmächten hatte?
    Von den sieben Hellenisten werden drei später noch in den Schriften genannt: Stephanus, der gesteinigt wurde, und Philippus, der den äthiopischen Kämmerer taufte und später vier prophetische Töchter hatte, in der Apostelgeschichte, und am Ende Nikolaos in der Apokalypse.
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Die Geldwirtschaft rückt die subjektiven Zwecke in ein Kausalitätssystem: Deshalb gibt es für die moderne Aufklärung keine Zweckursachen mehr. In diesem Kontext gibt es zur Gravitation keine Alternative, ist die Vergangenheit nur noch vergangen.
    Die kopernikanische Theorie wird mir immer unheimlicher und Kant, der erste Ansatz der Reflexion dieser Theorie, immer wichtiger.
    Der Gott der Hebräer, ist das nicht der Gott der Fremden, den die Ausländerfeindschaft nicht mehr erträgt?
    Das ist meine Utopie:
    – Wenn der Geist die Erde erfüllt, wie die Wasser den Meeresboden bedecken,
    – wenn keiner mehr den andern belehrt, weil alle Gott erkennen,
    – wenn das steinerne Herz durch das fleischerne ersetzt wird,
    – wenn die Greise Träume träumen, die Jünglinge Gesichte sehen und über die Knechte und Mägde Sein Geist ausgegossen wird, und
    – wenn am Ende die Herzen der Väter zu ihren Kindern bekehrt werden.
    Die großen Seeungeheuer (die die Schlange im ersten Schöpfungsbericht repräsentieren) symbolisieren das Neutrum: Ist der Fisch, in dessen Bauch Jonas saß, und ist der andere Fisch, den Raphael und Tobias im Tigris gefangen haben, dieses Neutrum? – Ist das Christentum der Jonas im Bauch des großen Fisches, und ist das Dogma der Bauch des großen Fisches?
    Ist das Neutrum aus dem Perfekt entstanden, hat es mit ihm eine gemeinsame Wurzel: Gründet das Neutrum in der (staatlichen) Expropriation des Handelns, der Transformation des Handelns in ein objektives, subjektloses, allein am Zeitablauf sich orientierendes „Sein“ und „Geschehen“, in Natur? Der Transformator ist der Mythos, in seinem Kern die Schicksalsidee.
    Zum Begriff des Zuschauers: Sehen ist ein kollektiver Akt, ein Gattungsakt. Wenn ich sehe, sehe ich mit den Augen der Andern, deren Gemeinschaft ich mich zurechne. Deshalb ist Sehen Urteilen (identitäts- und gemeinschaftsstiftend wie das Feindbild).

  • 22.11.1996

    Wer immer nur ein gutes Gewissen hat, klinkt sich aus der Solidarität aus.
    Der schärfste Einwand gegen den Unschuldtrieb, gegen den Zwang des guten Gewissens, liegt darin, daß die Freiheit von Schuldgefühlen das Gericht definiert (frei von Schuldgefühlen ist der Ankläger, der Satan).
    Die apokalyptischen Tiere: sind das nicht Verkörperungen des Verfolgers?
    Der Punkt ist die vollständig zusammengeschrumpfte Kugel, die kein Inneres mehr hat, die nur nach nach außen blickt, für die das Innere der anderen ebenso wenig existiert wie das eigene Innere, und die dieses Innere nicht nur nicht erkennt, sondern als inexistent setzt. Die Kugel ist Ausdruck der Gewalt der Rückseite über das Angesicht, der Linken über die Rechte und der unteren über die obere Welt. Der Punkt ist die Basis der Zahlen.
    Haben nicht die Babylonier die Arithmetik und die Ägypter die Geometrie entdeckt? Die Griechen haben Arithmetik und Geometrie mit einander verbunden (nicht versöhnt), und zwar durch die Entdeckung des Winkels.
    Die Entdeckung des Punktes ist eine Folge der Entdeckung des Inertialsystems: Der reine Punkt ist der Schwerpunkt. Die „Definition“ des Punktes ist durch das Bild des „ruhenden Inertialsystems“ vermittelt; der Versuch, dieses „ruhende Inertialsystem“ zu bestimmen, führt in die Paradoxien, deren Ausdruck die beiden Relativitätstheorien Einsteins sind, er führt zu den hochsymbolischen Bildern des fahrenden Zugs und des frei fallenden Fahrstuhls.
    Im Bild des Punktes vollendet sich die Abstraktion, deren Wurzel die Winkelgeometrie ist (der Punkt ist der Eckpunkt eines Winkels, auch im Inertialsystem).
    Daß der Punkt ohne dieses Referenzsystem (das „ruhende Inertialsystem“) nicht sich definieren läßt, drückt im Korpuskel-Welle-Dualismus der Mikrophysik sich aus, einer Konsequenz aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die das Inertialsystem selber dynamisiert. Hier werden beide, der Punkt und das ihn definierende Referenzsystem, in eine gemeinsame, wechselseitig sich reflektierende Bewegung hineingezogen. Hier erscheint das Referenzsystem in dreifacher Gestalt: als doppeltes Referenzsystem: nämlich sowohl der Korpuskel- als auch der Wellenbewegung, und in dieser Wellenbewegung zugleich als Objekt, als Erscheinung im System. Diese selbstreferentielle Konstruktion, deren systemische Wurzel das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, ist der Inhalt der mikrophysikalischen Strukturen, die in dieser Vermittlung überhaupt erst sich konstituieren.
    In den Dingen ist die Beziehung von Verfolgern und Verfolgtem auf die abstrakteste Form zusammengeschnurrt: auf ihre Beziehung zur Zeit. Die Zukunft des einen ist die Vergangenheit des andern. Die Begriffe Natur und Welt sind logische Zwillinge, die wie Zukunft und Vergangenheit als getrennte auf einander sich beziehen. Die Ontologie ist die Hypostasierung dieses Akts der Trennung (sh. Rosenzweigs „verandernde Kraft des ‚ist’“).
    Ist nicht die Pharao (in der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen und der Verhärtung seines Herzens) der verfolgte Verfolger, und drückt das nicht in den Pyramiden aufs genaueste sich aus?
    Wie hängt der Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen …“ zusammen mit dem andern „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“?
    War das nicht einer der fatalen Effekte des Historikerstreits, daß mit dem Bestehen auf der „Einmaligkeit“ von Auschwitz es danach eigentlich nichts Einmaliges mehr geben kann? Und ist das nicht gerade die Voraussetzung der Metastasen von Auschwitz? Manifestation des Einmaligen ist der Name, und indem dieses Einmalige in die Vergangenheit versetzt wird, wird auch der Name ins Perfektum, in die vollendete Vergangenheit versetzt: Kein Ruf, der ihn noch erreicht. So hängt Auschwitz mit der Theologie zusammen.
    Der Begriff instrumentalisiert den Tod, dem er das Objekt, auf das er sich bezieht, überantwortet. Dagegen steht der Name und die Idee der Auferstehung, ohne die es den Namen nicht geben würde. Wenn einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, so drückt genau darin (in der Beziehung der Dinge zum Raum) die Beziehung der Dinge zum Namen sich aus.
    Von der Idee der Auferstehung kennen wir nur das sprachlogische Symbol, das am Namen haftet (und vom Begriff geleugnet wird).
    Ist nicht Jer 3134, wonach am Ende keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen, ein Hinweis darauf, daß die direkte Belehrung (das „Überzeugen“) in der Tat unfruchtbar ist? Es bleibt allein noch die reine Erkenntnis Gottes und die Hoffnung, daß sie die Kraft hat, sich mitzuteilen, die Erkenntnis des Namens, in dem die Kraft der Erweckung der Toten beschlossen ist.
    Wäre nicht die Kritik der Ästhetik eine zentrale Aufgabe der Philosophie, die an der Kritik der reinen Vernunft anzusetzen hätte (was hat die „transzendentale Ästhetik“, was haben die subjektiven Formen der Anschauung mit der Kunst zu tun)? Die Ästhetik ist das Feuer im brennenden Dornbusch: Es brennt, aber es verbrennt den Dornbusch nicht. Und dieses Feuer ist nicht Gott, sondern Gott spricht aus diesem Feuer.
    Zu den Grenzen gehören: die Grenzen der Nation (die die „Völker“ und das Ausland ausschließen); das Schaufenster (und die Reklame), das den Käufer von der Ware trennt; die subjektiven Formen der Anschauung, die das Anschauen vom Angeschauten trennen, die Sprachgemeinschaft mit dem Angeschauten neutralisieren. Die Wurzeln dieser Grenzen sind die Grenze zum Himmel und die Grenze zur Vergangenheit, zum Hades.
    Zu Kanther fällt mir nur noch ein: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Selbstreferentielle Asymmetrie: Wenn wir heute, in unserer politischen Selbstverständnis, das Handeln des „Auslandes“ zur Norm unseres eigenen Handelns machen, dabei merkwürdigerweise das „Urteil des Auslandes“ (als „Heuchelei“: sie treiben es ja auch nicht anders) ausblenden, weil wir es als Angriff erfahren, holen wir dann nicht über die Metastasen von Auschwitz Auschwitz wieder in unser Handeln zurück? Das Feindbild Ausland bleibt uns so auf jeden Fall erhalten.
    Feindbilder haben seit je auch die Funktion, das, was als Handeln des Feindes erfahren wird, zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen und damit zur Norm des eigenen Handelns zu machen: die gleiche logische Konstruktion liegt dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zugrunde, sie begründet die Logik der „Naturgesetze“ wie auch die Gesetze des Rechts. Diese Logik wird durchbrochen durchs Gebot der Feindesliebe, das sie aus der Starrheit erlöst und reflexionsfähig macht.
    Die Feindbildlogik ist in sich selber atheistisch, und die einzige Gestalt der Theologie, die heute noch möglich ist, wäre die, die dieses Feindbildlogik sprengt (und die Religion aus dem Bann des Fundamentalismus befreit ohne sie zu verraten). In die Feindbildlogik (und seine religiöse Variante, den Fundamentalismus) gerät zwangsläufig hinein, wer zum Herrendenken keine Alternative mehr kennt.
    Wer Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft als Angriff erfährt, ist ihr bereits verfallen.
    Wie verhält sich der Satz Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen … und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ zu den Reflexionen René Girards über das Heilige und die Gewalt? Ist nicht der Säkularisationsprozeß (der Prozeß der „Verweltlichung der Welt“) Teil einer Geschichte, die diese Forderung eines „geheiligten Lebens“ nachgerade erzwingt? Wie verändert sich der Begriff des Heiligen im Säkularisationsprozeß? Der Säkularisationsprozeß, die Geschichte der Aufklärung, ist ein Prozeß, der, indem er die Idee des Heiligen aus der Objektivität vertreibt, sie ins Subjekt zurücknimmt. Jeder Versuch, das Heilige in der Welt zu erhalten, ist fundamentalistisch, und damit ein Produzent von Gewalt. In diesem Kontext löst sich das Problem der Derridaschen Anfrage an Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und den Begriff der göttlichen Gewalt, die in keinem Punkt mit irgend einer Form der staatlichen Gewalt sich berührt, es sei denn als Element ihrer Auflösung.
    Johann Baptist Metz‘ Konzept der Verweltlichung der Welt, führt in die Irre, wenn sie nicht die Kritik der Gewalt in sich aufnimmt. Die Kritik der Gewalt ist nicht zu verwechseln mit der Forderung nach Gewaltfreiheit: Während die Forderung nach Gewaltfreiheit sich unter das Gewaltmonopol des Staates stellt, zielt die Kritik der Gewalt auf die Auflösung des Gewaltmonopols des Staates: auf die Manifestation der göttlichen Gewalt. Die göttliche Gewalt leitet sich her aus dem Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, sie manifestiert sich im „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“, im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Dieser Akt ist der einzige Inhalt der Apokalypse.
    Wer glaubt, das Gewaltmonopol des Staates sei verfügbar im Interesse der Verwirklichung der richtigen Gesellschaft, verkennt u.a. auch den Marxschen Hinweis, daß in der richtigen Gesellschaft der Staat sein Ende findet, sich auflöst. Deshalb sind Staatsschutzsenate und ist der Titel Staatsanwalt schon vom Grunde her reaktionär.
    Wenn es dem Staatsschutz wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus ginge, müßte er sein Ziel, nachdem die RAF dem Terrorismus abgesagt hat, im wesentlichen erreicht haben. Was er aber jetzt tut, beweist, daß es ihm garnicht um das Ende des Terrorismus, sondern um Rache geht. Verfolgt wird nicht der Terrorismus, sondern verfolgt wird die Reflexion, die schon der Terrorismus selber verraten hatte. Deshalb war dieser Staatsschutzsenat nicht einmal fähig, die Erklärungen Birgit Hogefelds auch nur sich anzuhören; das Urteil lautet so, als hätte es diese Erlärungen überhaupt nicht gegeben.
    Hegels Reflexion über das Problem des Anfangs in der Philosophie läßt an ersten Sätzen in der Philosophie sich demonstrieren, angefangen mit dem ersten Satz der Philosophie überhaupt (Thales: Alles ist Wasser) über den ersten Satz der Dissertation Thomas von Aquins: Parvus error in principio magnum est in fine, bis hin zum Anfang von Schellings Weltalter: … die Zukunft wird geahndet. Auch die ersten Sätze im Stern der Erlösung und in Wittgensteins Logisch-philosophischem Traktat gehören hierher. Außerdem: Seit wann (und aus welchem Grunde) werden zu philosophischen (und wissenschaftlichen) Werken Einleitungen geschrieben (und im Falle der Phänomenologie des Geistes zur Einleitung noch eine Vorrede)? Ist die Furcht, die Werke könnten mißverstanden werden, und damit der Versuch, diese möglichen Mißverständnisse schon im vorhinein durch eine Vorrede oder Einleitung zu zerstreuen, so unbegründet (haben nicht Rosenzweig und Wittgenstein auf eine Einleitung verzichtet)?
    Sind nicht eigentlich alle naturwissenschaftlichen Bücher Einleitungen zu Texten, die keine mehr sind: zu den Formeln, die die Texte dann nur unzulänglich zu erläutern vermögen? Wer vermöchte wirklich Das Gravitationsgesetz, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die These von der Identität von träger und schwerer Masse in Sprache zu übersetzen?
    Die drei zivilisationskritischen Großprojekte der Aufklärung, Marx, Freud und Einstein, beschreiben sie nicht die Brennpunkte des Aufklärungsprozesses aus der Opferperspektive, Marx aus der des Proletariats, Freud aus der des Unbewußten, und Einstein aus der des materiellen Objekts? Und gehören hierzu nicht die Objekte der Kritik: das Tauschprinzip, das Realitäts- und Lustprinzip und das Trägheitsprinzip?
    Der Unschuldstrieb (das „reine Gewissen“) wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins symbolisiert und widerlegt.
    Kommt bei René Girard die Geschichte des Stephanus (und des Saulus) vor, und was bedeutet sie für sein Sündenbockkonzept? Ist nicht die Bekehrung des Paulus (die eine Bekehrung und keine Umkehr war) die eines Verfolgers, dessen Opfer „den Himmel offen“ sah?

  • 24.10.1996

    Auch wer Probleme hat, wenn er das politische Selbstverständnis der RAF mit ihren Taten in Zusammenhang bringen will, wird gleichwohl darauf bestehen müssen, daß dieses politische Selbstverständnis auch in der juristischen Aufarbeitung der Taten mit reflektiert wird.
    Wenn Einstein auch die Fallbewegung als Trägheitsbewegung (für die das Relativitätsprinzip gilt, begreift und davon ausgeht, daß im Innern eines frei fallenden (außer Kontrolle geratenen) Fahrstuhls nicht erkennbar ist, ob der Fahrstuhl ruht oder in freiem Fall sich bewegt, abstrahiert er dann nicht von dem Gefühl der Schwere, das in einem (in einem Schwerefeld) „ruhenden“ Fahrstuhl gleichwohl die Schwere fühlbar ist: Es bedarf des „freien Falls“, um dieses Gefühl gegenstandslos zu machen. Verweist dieser Tatbestand nicht auf den Unschuldstrieb, der, wenn er seine Erfüllung sucht, eigentlich den Zustand des „freien Falls“ sucht, den Moment der Katastrophe, die er zu verdrängen sucht? (Ist nicht die Bewegung der Ökonomie, wenn sie nach dem Konzept des Neoliberalismus rein dem eigenen Bewegungsgesetz folgt, eine Bewegung des freien Falls?)
    Wie hängt das Allgemeine Relativitätsprinzip, die Unterscheidung des Leichten und des Schweren, mit dem Satz von Rind und Esel (Joch und Last – auch Wasser und Feuer?) zusammen? Ist nicht das Leichte das Korrelat des Jochs, das man andern auferlegt? Hat der Hinweis auf das Feuer im 1. Petrusbrief etwas mit der Logik des Leichten (mit dem noch Aristoteles das Feuer zusammenbringt) zu tun, ist das Feuer, dem am Ende der Drache, der Satan und der Tod überantwortet werden, die Innenseite des Leichten, eine Folge des Unvermögens, in andere sich hineinzuversetzen, der leere Kern des Herrendenkens?
    Enthält nicht die Allgemeine Relativitätstheorie eine Staatstheorie, verweist sie nicht auf die Sphäre des Politischen, während die Spezielle Relativitätstheorie auf die der Ökonomie, auf die Logik des Tauschs, verweist? Wittgensteins Satz, daß die Welt alles ist, was der Fall ist, rückt die Welt in eine konstitutive Beziehung zum Staat.
    Läßt die Beziehung von Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie, als die Beziehung von Tauschprinzip und Macht, an der Beziehung von Merkur und Sonne (oder an der von Merkur und Jupiter) sich demonstrieren?
    Wer einer Sache die Grundlage entzieht, überantwortet sie dem freien Fall.
    Haben die Versuche, die Theologie von der Lehre von der Erbsünde zu befreien, nicht doch sehr viel mit den Verhältnissen im Innern von Einsteins Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist, zu tun?
    Ist das Konstrukt des Falles nicht in der Geschichte vom Sündenfall aufs genaueste beschrieben?
    Der letzte Satz in der Entgegnung auf Horst-Eberhard Richter, erinnert an eine Bemerkung, die Georg Lukacs zuerst auf Schopenhauer, später dann auf Adorno bezogen hat, das Wort vom „Grand Hotel Abgrund“ (vgl. Lukacs: Theorie des Romans, Neuauflage 1962, S. 17). Ich meine, die Konstellation, die Lukacs damals bezeichnen wollte, wird genauer getroffen, wenn man das Bild vom ortsfesten Hotel und dem Abgrund daneben dynamisiert und durch das eines Luxuszugs, der auf den Abgrund zurast, ersetzt.
    Die Feindbildlogik ist die Folge eines kollektiven Unschuldstriebs, aus dessen Konstruktion die Elemente dieser Logik sich herleiten lassen:
    – Unfähigkeit, Schuldgefühle durch Reflexion aufzulösen, Abwehrmechanismus,
    – Empörung (automatisierte Verurteilungslogik),
    – Schuldentlastung durch Schuldverschiebung, Exkulpation durch Empörung, moralische Enthemmung durchs Feindbild,
    – identitäts- und gemeinschaftsstiftend in einer Welt, die sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet,
    – Feindbild und Gegenfeindbild, Feindbild-Clinch, symbiotische Feindbindung; so werden beide Seiten zu Symptomen des Problems als dessen Lösung sie sich selbst verstehen,
    – Verwechslung und Austauschbarkeit von Solidarität und Komplizenschaft,
    – Faschismus-Schock, „Kollektivscham“ (Neutralisierung der Schuld durch Verrechtlichung),
    – Exzesse der Gemeinheit.
    Die Feindbildlogik ist die Mutter des Vorurteils, das in diesem Prozeß über die Schwächen der Beweisführung hinweghelfen wird.
    Sind nicht beide Seiten in den RAF-Prozessen Opfer eines schrecklichen Irrtums, und ist es nicht dieser spiegelbildliche Irrtum, die sie wie in einem Clinch an einander fesselt?
    Der Staat, den die Staatsschutzsenate schützen, ist der gleiche Staat, dessen Anwälte die Ankläger sind; deshalb sind beide in Staatsschutzprozessen nur noch schwer zu unterscheiden. Dieser Staat ist der Kern des Unschuldgenerators, der das eigentliche Objekt des Staatsschutzes ist.
    Ist nicht die Konstruktion von Staatsschutzsenaten ebenso pervers wie der Zustand des Staates, der sie hervorgebracht hat.
    Ist nicht der höhnische und zynische Ton, mit dem die Bundesanwaltschaft die VerteidigerInnen, die Mutter der Angeklagten, die Zuschauer und auch einen Zeugen, wenn seine Aussage nicht in ihr Konstrukt paßt, angreift, eigentlich ein Indiz dafür, daß sie mit dem Rücken zur Wand steht? Nur ist zu befürchten, daß das Gericht sich selbst in der gleichen Situation sieht und am Ende ein Solidaritäts-Urteil fällen wird, das dann aber nur noch wenig mit der Angeklagten zu tun haben wird. Der Eindruck ist ohnehin kaum noch abzuweisen, daß die Dauer des Verfahrens kein Indiz der Gründlichkeit des Verfahrens, sondern nur eine Konzession an eine Öffentlichkeit sein wird, die nicht merken soll, daß es eigentlich ein kurzer Prozeß war, daß das Urteil schon im Voraus feststand.
    Auch wer den Terrorismus für einen verhängnisvollen Irrtum hält, wird gleichwohl in den dadurch verhexten Texten der RAF Elemente entdecken können, deren Vedrängung ebenso verhängnisvoll wäre.
    Zur Kritik des Weltbegriffs gehört das Bewußtsein, daß die Grenzen des Bewußtseins, die diese Kritik überschreiten möchte, eins sind mit den Grenzen des Weltbegriffs, um deren Kritik es geht.
    Auch Hegels Begriff des Weltgerichts gründet in einem justitiellen, nicht aber in einem theologischen Gerichtsbegriff.
    Ist nicht die Öffentlichkeit gleichursprünglich mit dem Recht? Waren nicht die Foren, die dann zu Märkten geworden sind, ursprünglich Gerichtsstätten (vgl. auch den Namen der ekklesia und den auf die Versammlung im Tor verweisenden hebräischen Ursprung dieses Namens, auch die Wortgeschichte von Ding)?
    Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, gehört auch zu den Sätzen, die nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen.
    Die Sprache, nicht jedoch die Kunst, rührt an den Grund der Schöpfung. Die Kunst rührt an den des Staates und der Welt.
    Wer die apokalyptische Stimmung mit dem Hinweis auf die Atombombe zu begründen versucht, blendet genau die Sphäre aus, in der die Apokalypse in der Lage wäre, sich als Lichtquelle zu erweisen.
    Verschiebt Jürgen Ebach nicht den Grund und die Bedeutung des hebräischen Namens der Barmherzigkeit ins Neutrische, wenn er sie anstatt auf die Gebärmutter auf den Unterleib bezieht?
    Zur Verharmlosung der Unterscheidung von Rechts und Links gehören die Einfügungen in den Text durch Jürgen Ebach, das „noch“ im letzten Satz des Buches Jona und das „nämlich“ in den beiden Wiederholungspassagen, bei der Umkehr Ninives und beim Ärger des Jonas.
    Nach dem Geist der Utopie stand Ernst Bloch vor der Frage, ab er das symbolische und metaphorische Sprachverständnis, in dem der Geist der Utopie geschrieben wurde, ins Realsymbolische hereintreiben oder zur Rhetorik entmächtigen sollte. Er hat sich für die Rhetorik entschieden, und das in der Folge der materialistischen Wendung seiner Philosophie. War nicht Benjamins Hinweis auf den buckligen Zwerg in der ersten seiner Geschichtsphilosophischen Thesen eine Antwort an Ernst Bloch?
    Läßt sich nicht am Kyffhäuser der Unterschied zwischen Sage und Mythos verdeutlichen? Während der Mythos unter offenem Himmel sich entfaltet, gehört zu den Bedingungen der Sage eine caesarisch bestimmte Welt, in der der Himmel durch Herrschaft verdunkelt ist. In Babylon ist der Mythos zur Sage geworden: Gilgamesch war der erste Sagenheld. Und in Babylon ist die Prophetie zur Apokalypse geworden.
    Ist nicht alles Mitleid heute verhext? – Aber gleichwohl darf man es nicht preisgeben.

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