Xenophobie

  • 19.12.1996

    Objekte sind ausländisch: Jede Landesgrenze ist eine Verurteilungs- und Schuldgremze.
    Ton Veerkamp: Der erste Johannesbrief (TuK Nr 71/72):
    – „Raffgier“ (S. 45) antisemitisch?
    – Sprache und Inertialsystem: Ist die Sprache Bubers (und in der Folge die Ton Veerkamps) nicht eine Konsequenz aus der Anerkennung der Herrschaftslogik, die vom Inertialsystem nicht zu trennen ist? Folge: Unschuldstrieb (nicht Sünde, sondern Schuld – „Verfehlung“, „sich daneben benehmen“ (S. 65) – als Maßstab)
    . „Huld“/Barmherzigkeit (s.o.); „Bewährung“/Gerechtigkeit; „Weltordnung“/Welt; „Solidarität“/Liebe,
    . 68er Desiderat: affirmativer Gebrauch des Begriffs der Ideologie („falsches Bewußtsein“ nicht reflektiv, sondern nur als Waffe),
    . „klare politische Linie“, „unbedingte Ablehnung“, „kompromißlos“ (S. 66/88),
    . „wie ‚Gott‘ geschieht“ (vgl. „wie Gott funktioniert“ – in: Vernichtung des Baal): Ästhetisierung/Historisierung,
    . Tribut gezollt (nicht „gewährt“, S. 91): Tribut nur im „Ausland“, in unterworfenen Völkern, Einfuhrzoll für das Recht der Existenz unter der Besatzungsmacht,
    . „Bekenntnis zu“ (S. 85), Problem der Bekenntnislogik (dagegen: Bekenntnis des Namens),
    . Opfertheologie: „barbarischer Unsinn“ (S. 75) – reflektieren, nicht verdammen; Verurteilung, Feindbildlogik und Xenophobie („barbarisch“),
    . „Inspiration“/Geist: daß mit der Marx’schen Widerlegung der idealistischen Systeme der Name des Geistes obsolet geworden ist, ist wahr und unwahr zugleich.
    – Problemkreis Antichrist/Apokalypse/Antijudaismus (S. 52)?
    Verweist der Übergang vom hebräischen Satan auf den griechischen diabolos nicht auf einen Fortschritt, liegt dazwischen nicht der Weltbegriff, verweist die logische Figur des diabolos nicht darauf, daß das Satanische, das Prinzip der Anklage (der Verurteilung), in die Struktur der Welt mit eingegangen ist, ja eigentlich sie begründet? Deshalb gibt es im NT (und in der Folge davon in den Weltreligionen) Dämonen. Die Idee der creatio mundi ex nihilo ersetzt die Schöpfung durch einen Abstraktionsprozeß.
    Ton Veerkamps Begriff der „Weltordnung“ macht etwas deutlicher, aber zugleich verwischt es auch etwas. Es ersetzt die im Anblick von Rom notwendige Kraft der Reflexion (des Weltbegriffs) durch ein praktikables Feindbild. Auch diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Wer seinen Hegel kennt, weiß, daß Begriffs- und Herrschaftsgeschichte so mit einander verflochten sind, daß sich das eine vom andern nicht mehr ablösen läßt. Die Größe der Gefahr, die Rom verkörpert, wird erst sichtbar im Licht des Weltbegriffs. Der Begriff der „Weltordnung“, der diese Gefahr zum Feindbild verdichtet, ist schon Produkt einer Verharmlosung.
    Wird nicht, wenn man den Namen der Liebe durch den Begriff der Solidarität ersetzt, das Entscheidende herausdefiniert? Solidarität steht schon unter dem Gesetz der Instrumentalisierung (Liebe ist auch instrumentalisierbar: dagegen richtet sich der Rat der Keuschheit).
    Steckt nicht in der Praxis der Geldschöpfung, der Kreditschöpfung durch die Banken ein astronomiekritisches Potential (Grund der Beziehung des Begriffs der creatio mundi ex nihilo zur Ursprungsgeschichte des Staates, zur Ursprungsgeschichte des Gewaltmonopols des Staates)?
    Die Idee der Barmherzigkeit enthält das Potential einer Kritik der Transzendentalphilosophie, sie vermag insbesondere die Stellung und Bedeutung der transzendentalen Ästhetik in der Transzendentalphilosophie endgültig aufzuklären. Die Sprengung des Begriffs gründet in der Sprengung der ästhetischen Grundlagen des Begriffs (in der Beziehung des Begriffs zu den Formen der Anschauung, der Schaubühne unserer subjektiven Vorstellungen, unserer Vorstellungen von Natur und Geschichte).
    Gründet nicht die politische Theologie in der Unfähigkeit zur Reflexion des Urteils (in der Vertauschung und Verwechslung von Subjekt und Prädikat), und verbindet das nicht deren gegenwärtige Verkörperungen mit ihrer Ursprungsgestalt in der politischen Theologie Carl Schmitts? Gilt das Freund-Feind-Paradigma nicht auch für die nachfolgenden (nachfaschistischen) Konstrukte? Das Problem der politischen Theologie gleicht dem der naturwissenschaftlichen Astronomie: Sie macht das Ungleichnamige gleichnamig, indem sie die Sphäre der Herrschaft mit der theologischen in eins setzt. Sie rührt an das Problem, das Derrida fast schon denunziatorisch an Benjamins „Kritik der Gewalt“ glaubte gesehen zu haben: an das Problem der Ununterscheidbarkeit des Holocaust von der göttlichen Gewalt.
    DIE BANK GEWINNT IMMER: Es gibt keine Chance, mit politischen Mitteln die Beziehung von oben und unten umzukehren; man kann nur die Personen austauschen, aber nicht die Strukturen ändern: und das hilft nicht viel. Die Beziehung von oben und unten unterscheidet sich von den anderen Richtungsbeziehungen dadurch, daß sie irreversibel ist. Die einzige Chance benennt Jakobus: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Der Name der Barmherzigkeit aber ist der des Geistes.
    Die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Gerechtigkeit durch den der Bewährung, der ihn in einen autoritären Grund verpflanzt, läßt sich an dem Satz Horkheimers prüfen: Ein Richter, der in einen Angeklagten nicht mehr sich hineinversetzen kann, kann kein gerechtes Urteil mehr fällen. Wer den Begriff der Gerechtigkeit durch den der Bewährung ersetzt, begibt sich der Möglichkeit der Rechtskritik (die zu den zentralen Gegenständen der Prophetie gehört). Er kann Recht und Gerechtigkeit (Links und Rechts) nicht mehr unterscheiden.

  • 16.12.1996

    „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“: Die Bekenntnislogik war das Instrument der Auflösung des Naturbegriffs durch eine Zwangsreflexion, die durch die Opfertheologie (und durch die Geschichte des Weltbegriffs, in der diese gründet) vermittelt ist. Die Bekenntnislogik reflektiert einen Bekenntnisbegriff, der seinem Ursprung im Schuldbekenntnis hat, aus ihm durch ihm durch eine systematische logische Umkehrung hervorgegangen ist (sic, B.H.). In der Bekenntnislogik wird das Schuldbekenntnis, das auf die Fähigkeit zur Schuldreflexion als Selbstreflexion sich gründet, zum Fremdbekenntnis, zum Schuldverschubsystem, zu einem systematischen Instrument der Abwehr, Verschiebung und Projektion. Es ist die gleiche Umkehr, die bei Kant das Verhältnis von reflektierendem und bestimmendem Urteil in der Sache bestimmt (das Instrument dieser Umkehr ist die transzendentale Ästhetik, sind die subjektiven Formen der Anschauung und in ihnen die durch Orthogonalität und Reversibilität definierten Beziehungen der Richtungen im Raum, die das Ungleichnamige gleichnamig machen). Zu den Wirkungen der Bekenntnislogik (aus denen ihre Ursprungsgeschichte sich ablesen läßt) gehört die Selbstzerstörung der an die Sprache gebundenen Sensibilität, die sie durch Empfindlichkeit ersetzt. Die Empfindlichkeit (die insgesamt pathologisch ist) gründet im Rechtfertigungszwang, der selber als Umkehrung der Fähigkeit zur Schuldreflexion, als Produkt der Verdrängung und Unterdrückung dieser Fähigkeit, sich begreifen läßt. Im Kontext dieses Rechtfertigungszwangs gründet eine Logik, unter deren Bann die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen sich verwischt, unkenntlich wird: die Logik der Verurteilung (die dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrundeliegt). So bleibt Auschwitz unter moralischem Apriori „unverständlich“, während das, was hier geschehen ist, ohne daß das an dem Urteil über das Grauenhafte etwas ändert, unter den Prämissen der Schuldreflexion (die durch den Weltbegriff außer Kraft gesetzt werden) sehr wohl sich verstehen läßt.
    (Hierzu:
    – Verurteilung des Nationalsozialismus ohne Reflexion des Schreckens nicht möglich;
    – Reflexion des Schreckens und Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung;
    – Schuldverschubsystem, „Entsühnung der Welt“, Entlastung und Enthemmung, das Problem des Strafrechts und die Ohrenbeichte, Kirche und Staat als Produkte der Vergesellschaftung des Opfers und der Rache;
    – das Dogma, die Orthodoxie, das Geld, das Inertialsystem und die Logik der Verurteilung, des Schuldverschubsystems;
    – das Gebot der Feindesliebe und der imperativische Gehalt der Attribute Gottes;
    – die Astronomie und der Name des Himmels.)
    Das Problem der Bekenntnislogik ist ein lateinisches (und in der Folge dann ein deutsches) Problem. Die confessio ist ein halbiertes homologein. Sie unterscheidet sich wie das Bekenntnis vom homologein durch die Abstraktion von der Nachfolge (dem christlichen Äquivalent der Umkehr). Augustinus‘ Confessiones stellen dann die Beziehung zum „Sündenbekenntnis“, zur Schuld, her. Das homologein ist als Name der Umkehr aufs zukünftige Handeln bezogen, die confessio aufs vergangene, auf die „Bekehrung“, deren Geschichte Augustinus in seinen Confessiones erzählt, am Ende nur noch auf den Taufakt. Die confessio hat das homologein der Herrschaftslogik unterworfen. Erst als Bekenntnis wird das Bekenntnis endgültig und unentrinnbar zu einem Instrument der Herrschaftslogik: Durch die Umkehr des Schuldbekenntnis im Glaubensbekenntnis bekenne ich die Schuld der Andern, die ich weder bekennen kann noch darf. Durchs Glaubensbekenntnis wird das Christentum zum Christentum für Andere, hat es sich selbst instrumentalisiert. Diese Logik der Instrumentalisierung, die in der Theologie sich entfaltet hat, ist dann zum Modell der naturwissenschaftlichen Aufklärung geworden.
    Die Bekenntnislogik reprodziert und stabilisiert die Gewalt des Begriffs, während die Nachfolge den Begriff zurückübersetzt in den Namen (die Blätter des Feigenbaums zurückübersetzt in die Frucht).
    Gewinnt die Tatsache, daß nach dem Ende der Märtyrerzeit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in (männliche) Bekenner und (weibliche) Jungfrauen erfolgt, im Kontext dieser Logik nicht eine ungeheure symbolische Bedeutung?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne das projektive (feindbildlogische) Moment, das in dem Namen der Barbaren erstmals sich ausdrückt. Dieses projektive Moment ist in der Bekenntnislogik zur logischen Automatik geronnen: Deshalb gehört zur Bekenntnislogik ein eliminatorischer Wahrheitsbegriff: das Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter (der Häresien) und die Frauenverachtung.
    Sind nicht die Christen reflektierte Barbaren, und gehörte zur Rehellenisierung des Christentums nicht die erneute projektive Ableitung dieses Syndroms im Namen der Wilden (auch im Begriff der „rohen Natur“, die nur durch Bearbeitung zu humanisieren ist)?
    Wer mit dem Verurteilen das Verstehen tabuisiert, die Fähigkeit, auch ins Verurteilte noch sich hineinzuversetzen, unterdrückt, fördert die Barbarei, die aus dem Vorurteil folgt. Und diese Geschichte (die Geschichte des Vorurteils) hat angefangen in der Geschichte der Dogmas, im Kampf gegen die Häresien, die auch nur verurteilt, aber nie verstanden wurden. Wer heute eine transzendentale Logik schreiben wollte, müßte sie als Reflexion der Bekenntnislogik schreiben, ihr Ziel wäre eine Theorie des Antisemitismus, der Xenophobie und des Sexismus. Diese Reflexion könnte dann allerdings vor dem Naturbegriff nicht halt machen, sie würde ihn sprengen.
    Im Bekenntnisbegriff ist das Pharisäische zu einem Teil des logischen Systems und damit instrumentalisiert worden. Und die kirchliche Rezeption Pharisäer-Kritik, der Verurteilung der Pharisäer, gehörte zu den Grundlagen des Bekenntnisbegriffs. Das Symbol dieser Geschichte ist das biblische Symbol des Feigenbaums.
    Zur Logik der Verurteilung gehört Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts, und es ist nun wirklich ungeheuerlich, daß es – soweit ich sehe – zu Derridas „Gesetzeskraft“, zu seinen Reflexionen zu Benjamins Kritik der Gewalt, aus dem Bereich der Frankfurter Schule keine Erwiderung gibt.
    Das Problem, die Geschichte der RAF zu verstehen, gehört in den Umkreis der Reflexion der Logik der Verurteilung (und der Bekenntnislogik). Die RAF ist in extremer und signifikanter Weise (für sich selbst wie für die staatliche Verfolgung) zum Opfer der Logik der Verurteilung geworden. An den RAF-Prozessen wäre nachzuweisen, daß das Problem RAF auf diesem Wege nicht zu lösen ist, es sei den über die Selbstzerstörung der Gesellschaft.
    Die Reflexion der Bekenntnislogik schließt die Revision der Geschichte der Aufklärung, die mit der Dialektik der Aufklärung begonnen wurde, mit ein.
    Die Bekenntnislogik und das Dogma sind Stabilisatoren der Rechtfertigungszwänge, die durch Reflexion aufzulösen wären.
    Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ widerlegt die Bekenntnislogik, entzieht ihr die Grundlage.
    Die Logik der Verurteilung ist ein Sinnesimplikat der Geschichte des Begriffs. Deshalb ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Und deshalb konnte Hegel diesen Schiller’schen Satz als Schlußstein seines Systems verwenden. – Aber dagegen steeht der Satz aus dem Jakobus-Brief: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
    Aufgabe einer Theologie heute wäre es, das Dogma zurückzuübersetzen in eine Theologie der Erfahrung, in eine Logik-Kritik, die eins wäre mit dem Konzept, die Theologie hinter dem Rücken Gottes zurückzuübersetzen in eine Theologie im Angesicht Gottes. Das wäre zunächst ein sprachlogisches Problem, in dem ein reales Problem sich verbirgt: das der Apokalypse. Hierzu hat Franz Rosenzweig die ersten Stichworte geliefert: der Name ist nicht Schall und Rauch, und das Problem des Gottesnamens ist gründet in dem logischen Problem des Namens überhaupt. Das logische Problem der Verurteilung ist in der Logik des Begriffs selber präsent in der Frage der Konstituierung des Objekts, in der die Identität des Begriffs gründet. Oder anders: Das Problem des Gottesnamens, das Ton Veerkamp zu Recht ins Zentrum seiner „Autonomie und Egalität“ gerückt hat, ist das Problem der Selbstreflexion des Nominalismus, das in der Philosophie als das Problem der Rettung Kants durch seine Hegel’sche Widerlegung hindurch sich beschreiben läßt. Die Logik selber verändert sich, sie wird mit der Reflexion der Logik der Verurteilung, ihres blinden Flecks (des blinden Flecks, in den allein die Prophetie Licht zu bringen vermag), selber zum Medium der Reflexion. Ein sprachlogisches Hilfskonstrukt der Logik der Verurteilung, das zur Ursprungsgeschichte der Philosophie (und zur Konstituierung des Naturbegriffs) gehört, war der Name der Barbaren. Durch ihn ist der Objektbegriff als Repräsentant des Verurteilten, in dem der Begriff des Begriffs gründet, vermittelt.
    Die Reflexion der Verurteilung ist ohne die Reflexion des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, in dem der Objektbegriff im Kontext seiner Konstituentien sich entfaltet, nicht mehr möglich. Deshalb ist das Kant-Studium immer noch unerläßlich.
    Die Fundamentalontologie ist der Statthalter des Fundamentalismus in der Philosophie. Merkwürdig, daß dieser Fundamentalismus, der einmal als weit folgenreicher sich erwiesen hat, weniger Widerstand hervorruft als der religiöse.
    Hat nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun? Ist nicht die Klugheit der Schlangen der Traum des Nebukadnezar? Oder anders: Ist nicht die Hegel’sche Philosophie einer der Verkörperungen sowohl der Klugheit der Schlangen als auch des Traums des Nebukadnezar, und war nicht Hegel ein halbierter Daniel, dem nur die Arglosigkeit der Tauben fehlte, um als ganzer Daniel den Traum seiner Philosophie auch deuten zu können?
    Die Instrumente der Subjektivierung (der Sinnesqualitäten, der Kritik und der Schuld) wird innerhalb der Gersamtzusammenhangs der transzendentalen Logiken repräsentiert durch die Form des Raumes, durch das Geld und durch die Bekenntnislogik, die das Subjekt in die Rechtfertigungszwänge und deren projektive Verarbeitung hineintreiben.
    Die Feindbildlogik transformiert die transzendentale Logik in die Urteilsmoral, sie verwandelt die Moral in eine Herrschaftsinstrument (in die Universalität einer Moral für andere).
    Das verteidigende Denken ist nicht nur auf Gesellschaftliches bezogen: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Die Logik der Naturwissenschaften ist als reine Objektlogik die Logik der Verurteilung, einer Verurteilung, die heute dahin tendiert, das verteidigende Denken schon vom Grund her auszuschließen.
    Die Logik der Verurteilung ist die Logik des Vorteils, sie lebt von der Gewalt des Feindbildes.
    Der Staat reproduziert sich durch die Sanktionierung und Ausbeutung des Rachetriebs in der Institution des Rechts, während die Kirche sich über die Sanktionierung und Ausbeutung Unschuldtriebs reproduziert.
    Gab es in Israel Knäste (und waren die Schuldknechtschafts-Regelungen wie Sabbatjahr und Jubeljahr Institute zur Knastvermeidung)? Haben die Brunnen, in die Joseph und Jeremias geworfen wurden, etwas mit den Knästen zu tun?
    Die Landesgrenze ist wie jede Abstraktionsgrenze eine Verurteilungs- und Schuldgrenze.

  • 27.11.1996

    Der alltägliche Positivismus: Eines der wichtigsten Mittel, mit deren Hilfe der Positivismus sich in der Realität verankert, ist das Geschwätz (das auf dem Bauche kriecht und Staub frißt). Aufgabe des Geschwätzes ist es, durch Schuldverschiebung (Konkretismus und Personalisierung) die am Geschwätz Teilnehmenden von Schuld zu entlasten, die Reflexion durch positivistisches Beharren auf den Tatsachen (die es nicht an sich, sondern vor allem für den Redenden sein müssen), auf der intentio recta, zu unterdrücken und zu verdrängen. Geschwätz zielt auf Komplizenschaft: den andern in diesem Schuldverschubsystem auf seine Seite zu ziehen; deshalb braucht das Geschwätz gemeinsame Objekte des Geschwätzes, Objekte, die alle am Geschwätz Beteiligten gemeinsam entlastet, im Ernstfall den gemeinsamen Feind. Das Geschwätz kennt nur die Sprache des Indikativs, die eigentlich eine Sprache des versteckten Imperativs ist: Die Botschaften, die von dieser Sprache ausgehen, sind Kommandos, die jeden, der sie akzeptiert, an der Befehlsgewalt teilhaben lassen, in die Logik des Herrendenkens hineinziehen. Es kommt darauf an, die objektivierende Gewalt des Geschwätzes so zu nutzen, daß man immer auf der Subjektseite, die oben ist, nie auf der Objektseite (der Seite der Schuld), die unten ist, sich wiederfindet. Mit der Verdrängung der Erinnerung an diese Objektseite des Geschwätzes aber wird die Reflexion unterdrückt und verdrängt: die Fähigkeit, in den Andern, über den geredet wird, sich hineinzuversetzen. Das Geschwätz kennt kein Ende, es wird immer abgebrochen, und es muß deshalb immer neu geübt, eintrainiert werden. Das zentrale Thema jedes Geschwätzes ist die Schlechtigkeit der Welt, die dann, weil sie keine Wahl läßt, anders gegen sie sich zu behaupten, zur Norm des eigenen Verhaltens wird (die absolute Norm ist die Norm, die das Feindbild repräsentiert?.
    Der Positivismus macht die Wissenschaft zum Geschwätz; die 68er Bewegung hat den Marxismus zum Geschwätz gemacht (und beide haben ihre Kraft dann auch an der kritischen Theorie erprobt, die das nicht überlebt hat).
    Die Unfähigkeit zur Reflexion hängt mit der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden, zusammen, mit der Unfähigkeit, sich in den Andern hineinzuversetzen (vgl. die Konstruktion der hegelschen Dialektik, ihren Zusammenhang mit der Raum-Reflexion: An sich, Für sich, An und Für sich, ihren Zusammenhang mit der kabbalistischen Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind; Zusammenhang mit dem Angesicht und mit der Heiligung des göttlichen Namens).
    Zum hegelschen „bacchantischen Taumel“ vgl. Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 187ff.
    Die Verwaltung ist die technische Seite der Ökonomie, das Instrument und die Form der innergesellschaftlichen Naturbeherrschung.
    Das Glaubensbekenntnis ist ein Fremd-Schuld-Bekenntnis (ein Schuldbekenntnis, dessen Subjekt der Andere, nicht der Bekennende ist), und es ist dazu geworden durch die Rezeption des Weltbegriffs, durch die Hereinnahme der Logik des Weltbegriffs.
    Die Rechtschreibreform hat zumindest in dem einen Fall der Substantivierung der Adjektive („im Großen und Ganzen“) ein reflexives Element der Sprache neutralisiert und verdrängt. Gibt es dazu noch weitere Belege in dieser „Reform“? Ist das nicht ein Beispiel für die Anpassung der Sprache an den BILD-Zeitungsstil, in dem auf Nebensätze generell verzichtet wird, und der dadurch seine denunziatorische Qualität gewinnt?
    Lassen sich die den Substantivierungen zugehörigen Objekte (das Große, das Ganze, das Böse, das Gute) bestimmen, haben sie nicht etwas mit der Logik der Xenophobie zu tun?
    Die Großschreibung insgesamt ist ein Hilfsmittel der Staatsmetaphysik, eine Stütze der Staatsgesinnung: sie macht die Sprache der Staatsanwaltschaft verfügbar, sie macht sie zur Sprache eines Staates, der in sich selbst das anklagende Prinzip, dessen Anwalt der Staatsanwalt ist, repräsentiert.
    Der bisherige adjektivische Gebrauch, der in der Kleinschreibung sich ausdrückte, ließ das Substantiv, auf das sie sich bezog, in der Schwebe. Die neue Schreibweise macht kurzen Prozeß.
    Wurde nicht bei der neuen Regel, bisher zusammengeschriebene Verben jetzt getrennt zu schreiben (heiligsprechen > heilig sprechen) übersehen, daß damit der sprachlogische Sinn verändert wird, leistet sie nicht der Verwechslung des substantivischen Gebrauchs (Zusammenschreibung) mit dem adjektivischen (Getrenntschreibung) Vorschub (der Unfähigkeit, das eine vom andern zu unterscheiden)? Müßte es in der Konsequenz nicht auch Haus Besitzer heißen? Bemerkt hat man es bei Verben wie heimkehren, bei denen es bei der alten Schreibweise belassen wurde, weil hier die Bedeutungsverschiebung nicht zu übersehen war.
    Räumliche Reflexionen: Züge, Fahrstühle und der plancksche Hohlraum haben wie auch Häuser Wände, sie sind gleichsam Objekte von innen (Grund der Unterscheidung von Innen und Außen). Haben nicht moderne Kirchen, auch gelegentlich moderne Wohnungen, die Außenseite der Wände nach innen gekehrt (Verwechslung des transzendentalen Subjekts mit Gott: das Innere, in das nur Gott sieht, ist wie die Außenwelt unerkennbar geworden)?
    Sind nicht die Sternbilder des Tierkreises die Häuser der Astrologie?
    Die mechanischen Stoßprozesse haben den Schwerpunkt als Reflexionspunkt, die ersten optischen Gesetze bezogen sich auf die Reflexion der Strahlen an einer Fläche (die Farbe ist eine Qualität der Fläche, der Außenseite eines Körpers: die Farbe der Haut ist die Farbe des Fleisches – welche Beziehung hatte das Purpur zur Fleischfarbe, und welche Bedeutung hatte dieses Purpur, das Handelsobjekt der Phönizier, der Kanaanäer?). Im planckschen Hohlraum werden die Strahlen an den umgebenden Wänden, die Atome an einander und an den Wänden reflektiert. Im Gravitationsgesetz reflektieren sich Gravitationskräfte an den schweren Körpern (an den schweren Massen).
    Ist nicht das Angesicht der Kontrapunkt zum Schwerpunkt (zum Zentrum eines Inertialsystems)?
    Spiel mit dem Feuer: Das plancksche Strahlungsgesetz bezeichnet den Angelpunkt, an dem Chemie, Atom- und Mikrophysik aufeinander sich beziehen: das Feuer (das spezielle Relativitätsprinzip definiert das Trägheitsprinzip, das allgemeine Relativitätsprinzip den Schwerpunkt: den Ursprungspunkt des Inertialsystems). Das Feuer ist das Antiinstrument (die Entdeckung des Werkzeugs und des Feuers gehören zusammen).
    Mit der dies dominica, mit der Verlegung der Sabbatruhe vom Tag des Saturns auf den der Sonne (mit der Ersetzung der zeitlichen Definition der Ruhe durch eine räumliche: der zukünftigen Welt durch den räumlich präsenten Himmel), hat das Christentum das kopernikanische System antizipiert.
    Ist die Kleptomanie, das Gegenstück sowohl zur Einbruchsfurcht als auch zur männlichen Aggression, nicht in erster Linie eine weibliche Neurose?
    Ist aus dem Buch der Richter etwas über das Leben der Menschen in der Zeit der Richter zu entnehmen (Stadt und Land, Familie, wovon lebten die Menschen)?
    Transzendentale Ästhetik: Ist nicht ein wesentliches Moment der Masken (Girard, S. 245ff) das Sehen ohne gesehen zu werden, eine Funktion, die in der Geschichte der Aufklärung durch das Konstrukt der Anschauung ersetzt worden ist? – „Die Maske und der monströse Doppelgänger sind eins“ (S: 246): Die subjektiven Formen der Anschauung, die der Person den Grund verschaffen, sind Produkte der Vergesellschaftung, Repräsentanten des Objekts: der Anderen und der Dinge im Subjekt.

  • 19.10.96

    Es kommt nicht darauf an, Schuldgefühle zu vermeiden oder loszuwerden, sondern sie reflexionsfähig zu machen, und es kommt nicht auf die Bewahrung der Identität, sondern auf die der Lernfähigkeit an. Wer, um seine Identität zu wahren, Schuldgefühle nur abwehrt, anstatt sie zu reflektieren, wird lernunfähig.
    Wer Schuldgefühle nur abwehrt, für den wird jeder, der Schuldgefühle weckt, zum Feind (Logik des Antisemitismus; Tötung des Urvaters).
    Als Habermas den Verfassungspatriotismus erfunden hat, hat er das Gewissen (und mit ihm den Quell seiner philosophischen Inspiration) an die Verfassung delegiert.
    War nicht die kantische Unterscheidung eines femininen von einem neutrischen Erkenntnisbegriff (die/das Erkenntnis) ein Versuch, Erkenntnis vom Bann der Reversibilität freizuhalten?
    Der Feind meines Feindes ist nicht in jedem Falle mein Freund; aber er ist nicht schon deshalb, weil er nicht mein Freund ist, mein Feind. Diese eindeutige Reversibilität gibt es nur auf der Grundlage der Logik des Feindbildes.
    Die schwindelerregende Logik, die den gegenwärtigen Weltzustand beherrscht, läßt sich nur durch ein Feindbild auf einfachere Strukturen bringen, aber nur um den Preis der Selbstverblendung.
    Die Bekenntnislogik gründet in dem gemeinsamen Nenner eines gemeinsamen Feindbildes. Die Selbstghettoisierung durch ein gemeinsames Feindbild ist das logische Modell der subjektiven Formen der Anschauung und der Isolationshaft.
    Zum Projekt Selbstaufklärung gibt es keine Alternative mehr.
    Wer heute im Ernst Kritik der politischen Ökonomie zu treiben versucht, kann sich nicht auf die Kritik der Ökonomie beschränken in der Erwartung, daß die politischen Konsequenzen sich daraus von selbst ergeben, sondern er muß die Kritik der politischen Ursprünge der Ökonomie (Ursprung der Ware in Raub und Eroberung: die Sklaven und die Frauen sind die ersten Waren) in die Reflexion mit einbeziehen. Ihr gegenwärtiger Ansatzpunkt wäre die heute epidemisch sich ausbreitende Xenophobie.
    Der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos geht die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation, der Aneignung des Eigentums an Grund und Boden und der Grundlegung des Sklavenhauses Ägypten durch Joseph voraus. So dialektisch ist die Bibel. Nur das Sklavenhaus Ägypten konstituiert sich als Sklavenhaus in dem Augenblick, als ein Pharao kommt, der sich Josephs nicht mehr erinnert: der die Ursprungsgeschichte des Sklavenhauses verdrängt. Diesen Pharao, der auch JHWH nicht kennt, und zu dem Moses dann im Namen des Gottes der Hebräer spricht, trifft die Geschichte der zehn Plagen und der Verhärtung des Herzens. Für ihn wird Moses zum Gott und Aaron zu seinem Propheten.
    Ist nicht Mizrajim ein sprechender Name, dessen Verstummen im Griechischen (schon in der LXX) und dann in der christlichen Tradition Buber in seiner Bibelübersetzung ratifiziert.
    Enthält der Name der Hebräer, in dem die Fremdheit und der Blick der andern Völker reflektiert wird, nicht die Forderung, diesen Blick auszuhalten und die Schuld, das Korrelat dieses Blicks, reflexionsfähig zu halten? Schon Abraham war ein Hebräer. Ebenso bekennt sich Jona vor den Schiffsleuten als Hebräer, und ebenfalls Judith im Lager des Holofernes. Jona verkündet Ninive den Untergang, Judith tötet den Holofernes.
    Die giftige Atmosphäre im Hogefeld-Prozeß gehört zu den Naturqualitäten eines RAF-Prozesses.
    Zum Zug, der in den Abgrund rast: Unsere Gerichte halten sich ans allgemeine Relativitätsprinzip Einsteins, wenn sie die beschleunigte Bewegung als einen der Ruhe äquivalenten Zustand ansehen (wenn sie die Bewegung des Zuges, die Außenwelt und den Abgrund leugnen): Ist der Zug ein Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist? Das allgemeine Relativitätsprinzip gründet in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse, und es ist die Grundlage der Theorien vom Urknall und von den schwarzen Löchern. Verkörpert nicht das allgemeine Relativitätsprinzip das Gesetz der Katastrophe im Zentrum der Physik? Und ist die Logik dieses Prinzips nicht die gleiche Logik, die auch dem Schuldbegriff zugrunde liegt (der Konstellation von Feindbild-Symbiose, Abwehrmechanismen und Projektion)?
    Verhält sich die spezielle Relativitätstheorie zur allgemeinen wie die Barmherzigkeit zum Gericht?
    Das Feindbild konstituiert das Bild von der Schwere der Schuld (um die es im Kampf gegen die RAF jetzt allein noch zu gehen scheint).
    Läßt der Jakobus-Satz, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums befreit, seine Seele rettet, nicht auf das Werk Horheimers und Adornos anwenden?
    Wer das Böse nur verurteilt, gewinnt zwar für sich den Schein der Unangreifbarkeit, er trägt aber nichts mehr bei zur Auflösung des Banns des Bösen.
    Sed libera nos a malo: Das Übel ist etwas, das uns zustößt, während wir im Namen des Bösen mitgemeint sind. Die Strafe befreit nicht vom Bösen, sie verewigt es (das Ideal der Strafe ist die Strafe für eine unendlich schwere Schuld). Dem Konzept der „Endlösung der Judenfrage“ lag die Vorstellung einer Erlösung der Welt durch Bestrafung derer, auf die die Antisemiten ihre eigenen Schuldgefühle projiziert hatten, zugrunde.
    Die Fähigkeit in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, hängt im Falle der RAF von der Fähigkeit zur Reflexion der deutschen Vergangenheit ab: Sind nicht die Urteile in den RAF-Prozessen allesamt auch Versuche, auf diesem Wege die Vergangenheit endlich loszuwerden?
    Die „kleine Verschiebung“, die die messianische Zeit von der Vorgeschichte trennt, ist die Verschiebung der Logik der Verurteilung von der Vergangenheit in die Gegenwart: Es ist die gleiche Verschiebung, die aus dem Weltgericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht macht: der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht.
    Schmerz und Schrecken: Nicht der Schrecken lähmt, sondern der Schmerz, der den unaufgelösten Schrecken noch in sich enthält. Nur wer dem Schrecken standhält, entwickelt die Kräfte des Widerstands (die Kräfte, die in den Mechanismen der Empörung und Verurteilung bloß verpuffen; Empörung und Verurteilung führen auch dort noch zum Einverständnis mit dem Bestehenden. wo man glaubt, es zu bekämpfen).

  • 16.6.96

    Zeugen der Kreuzigung waren die Frauen, Zeugen der Auferstehung waren nach Maria Magdalena die Apostel. Ist nicht darin das Schicksal der Kirche vorbezeichnet gewesen? War nicht das Dogma (und mit ihm die Confessio: das Bekenntnis und die Konfession) der Fluchtpunkt des männlichen Verhaltens in den Anfängen?
    Die Idee des Jüngsten Gerichtes widerspricht der Vorstellung, daß der Tod alle gleichmacht.
    Instrumentalisierung: Wird der Katholizismus heute nicht zu einer Gemeinschaft der verbiesterten Frommen, die es nur noch als Erscheinung, als „Vorbilder“ für andere sind?
    Zur Frage der Sündenvergebung:
    – die Taufe des Johannes,
    – vergeben wird dem, der anderen vergibt,
    – Verstockung: „daß sie sich nicht bekehren und keine Vergebung finden“ (Mk 412),
    – die Heilung des Gelähmten,
    – „ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt“,
    – die Sünde wider den Heiligen Geist,
    – wenn ihr betet, so vergebt dem, der etwas gegen euch hat,
    – „in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt allen Nationen, anfangend von Jerusalem“,
    – wem ihr die Sünden vergebt (behaltet), dem sind sie vergeben (behalten). (Die einzige Stelle im Johannes-Evangelium, 2023)
    Das Inertialsystem als Generalamnestie: Ist das nicht die Quelle der Inspiration Drewermanns?
    Der Kapitalismus hat die Schuld von der Sünde getrennt; er „läßt den Armen schuldig werden“. Hier gründet die Logik, für die das Schuldigwerden mit dem Erwischtwerden zusammenfällt. Steckt diese Logik nicht schon in Hegels Begriff des Handelns, der allein auf dessen objektive Manifestation abstellt; die Gesinnung, die „bloße“ Absicht und das „abstrakte“ Sollen werden unerheblich.
    Verhält sich nicht der Sabbat zur dies dominca wie die Erfüllung des Worts zur Erfüllung der Schrift? Der Sabbat ist der Tag, an dem Jesus im Grab gelegen hat; und es war Joseph von Arimathäa, der ihn am Vorabend des Sabbat vom Kreuz abgenommen und in sein Grab gelegt hat, in das gleiche Grab, das am „Ostermorgen“, am Tag nach dem Sabbat, leer war.
    Die Augenlust ist die Urteilslust, der Zwang, das Gesehene einzuordnen.
    Gründet das Rosenzweigsche Wort vom „hintertückischen, verandernden Wissen des Denkens“ nicht in dem kantischen Satz vom „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“, auf das Einheitsprinzip der transzendentalen Logik, den Grund des kantischen Begriffs der Erscheinungen? Das „meine Vorstellungen begleitende Denken“ macht sie zu „meinen Vorstellungen“, begründet eine Art Eigentumsordnung der Vorstellungen (zusammen mit dem rechtlich faßbaren Begriff des Plagiats). Ist nicht die Eigentumsordnung, deren Urheber und Garant der Staat ist, das Organisationsprinzip der transzendentalen Logik? Gründet nicht der Nationalismus (und mit ihm die Xenophobie, in letzter Konsequenz der Antisemitismus) in der Organisation der instrumentalisierten Vernunft, deren gegenständliches Korrelat die in Natur und Welt aufgeteilte Objektivität ist?
    Die Lichtgeschwindigkeit ist die Asche der Teleologie.
    Augenschein als Ideologie: Das Auge „scheint“ nicht, sondern wird vom Schein des Lichts getroffen.
    Ist nicht die Fallbeschleunigung die Pforte der Hölle (der Grund des Zeitkontinuums)?
    Mit dem Himmel hat der katholische Mythos auch die Hölle verräumlicht, die ihr innewohnende Beziehung zum Herrendenken, zur Vergangenheit, zum Tod, durch Ideologisierung unkenntlich gemacht.

  • 22.11.95

    Der Andere und der Fremde: Der Begriff des Anderen ist ein Systembegriff, der des Fremden ein systemsprengender Begriff. Der Weltbegriff macht alles Weltliche zu Anderem für Andere; das Eine, das das Andere für Andere ist, ist im Kontext des Weltbegriffs in diesem Anderssein aufgehoben und verschwunden. Der Satz: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, drückt diese Struktur aufs genaueste aus. Als ihnen die Augen aufgingen, lernten sie sich in den Augen der Anderen sehen: Da erkannten sie, daß sie nackt waren. Diese Nacktheit ist das biblische Äquivalent des philosophischen Andersseins. Das, was ich unter dem Zwang der Logik der Scham (unterm Rechtfertigungszwang) in mir verdrängen muß, ist damit nicht wirklich verschwunden: Es erscheint in der Gestalt des Fremden (zugespitzt in den Gestalten des Feindes, des Verräters und in der der Sexualität, der weiblichen Verführung), der, weil er der Systemlogik des Andersseins sich nicht einordnet, zur Projektionsfolie meiner Verdrängungen wird. In dieser Logik gründet die Xenophobie.
    Läßt die Beziehung des Andern zum Fremden nicht an der Beziehung des Inertialsystems zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich ablesen? Bezeichnet nicht die Lichtgeschwindigkeit (zusammen mit der Gravitationskonstanten) genau den Fremdheitspunkt im System? Im Inertialsystem ist die Division durch 0 (das Äquivalent der Orthogonalität) nicht gleich Unendlich, sondern = c, gleich der Lichtgeschwindigkeit (vgl. hierzu die Erörterungen Derridas über die Beziehungen der Begriffe des Andern, des Fremden und des Unendlichen in seinem Essay über Levinas, in: Die Schrift und die Differenz, S. 121ff, insbes. S. 149ff, 159ff, 174).
    Die 0 (Null) ist der Statthalter der Orthogonalität in der Mathematik. Die Vorstellung der Unendlichkeit des Raumes ist durch ein dreifaches Nichts (durch drei Nullen, die erst durch ihre wechselseitige Reflexion mit einander identisch, zu Nullen, werden: durch eine dreifache Abstraktion) vermittelt. Vorläufer der Null, ihr Statthalter in der Sprache, war das Neutrum, in der Schrift symbolisiert durch die Schlange: „An jenem Tage wird der HERR mit seinem harten, großen und starken Schwerte heimsuchen den Leviathan, die flüchtige Schlange, und den Leviathan, die gewundene Schlange, und wird den Drachen töten, der im Meere haust“ (Jes 271).
    Die Null ist die Narbe an der Stelle, an der Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat, sie ist dann zu einem Instrument im Klassenkampf geworden.
    Redundanz: Der Begriff des Rassismus erklärt die Xenophobie auf der Basis und im Rahmen der Logik der Xenophobie.
    Zur Geschichte des Objektbegriffs: Die Kopenhagener Schule hat die ungelösten Probleme der Äthertheorie in den mikrophysikalischen Objektbegriff mit hereingenommen, sie hat sie zu dinglichen Eigenschaften von Objekten (der „Elementarteilchen“) gemacht. Hierauf bezog sich meine These, daß die Strukturen der Mikrophysik (des gesamten Bereichs, den das Plancksche Wirkungsquantum eröffnet hat) aus der Form des durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit neu definierten Inertialsystems sich müssen herleiten lassen.
    Hat der Faschismus nicht eine sehr christliche Tradition terroristisch zugespitzt, als er den Opfern auch nachträglich noch unauslöschliche Schuldgefühle mitgegeben hat? Der daraus sich herleitende Rechtfertigungszwang läßt sich nur im Kontext der Reflexion der Genesis dieser Schuldgefühle (die gegenstandslos, aber nicht grundlos sind) auflösen. Und nur auf die Auflösung dieses Rechtfertigungszwangs, nicht der Schuldgefühle, kommt es an. Was heute Religion heißt: der vergebliche Versuch, diese Schuldgefühle (unter Hinweis auf ihre Gegenstandslosigkeit) loszuwerden, bleibt in diese Rechtfertigungszwänge verstrickt. Diese Religion ontologisiert das Schuldverschubsystem: Sie macht sich selbst lahm und blind.
    Liegt das ungeheure symbolische Potential des Konflikts um die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie nicht in ihrer Beziehung zu diesem Schuldverschubsystem? Welch schreckliche symbolische Logik liegt nicht in der Geschichte, daß C. F. von Weizsäcker, der in die Entstehungsgeschichte der angeblich friedlichen Nutzung der Atomenergie involviert war, vor Jahren sich einen privaten Atombunker gebaut haben soll? Und ist die Wirksamkeit des Schuldverschubsystems nicht direkt an seiner Formel für die Energiebilanz der Sonne, die eigentlich auf die Technik der „Uranmaschine“ abzielte, abzulesen (an der kosmologischen Verschiebung eines technischen und erkenntnistheoretischen Problems)? Auch das ein Versuch der Verharmlosung (und Schuldentlastung): die Verschiebung des Problems aus einer ethisch relevanten in eine ethikfreie Zone: ins Kosmologische. War dieses Konstrukt nicht ein Vorläufer der „kosmologischen“ Theorien des Urknalls oder auch des Schwarzen Lochs (der „Kosmologisierung“ technischer Redundanz-Probleme)?
    Entsühnung der Welt: Ersetzen heute nicht Exkulpationsmechanismen, der Trieb, den Komfort des guten Gewissens sich zu erhalten, immer deutlicher und massiver die Arbeit an der Erkenntnis dessen, was hinter dem Vorhang sich abspielt? Heute wollen die Menschen nicht mehr wissen, was sie tun, sie wollen nur noch, was sie tun, ohne Schuldgefühle tun.
    Beim Tod Jesu „(zerriß) der Vorhang im Tempel … von oben bis unten in zwei Stücke, und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Grüfte öffneten sich, und viele Leiber der Entschlafenen wurden auferweckt; und sie kamen nach seiner Auferweckung aus den Grüften hervor, gingen in die heilige Stadt und erschienen vielen“ (Mt 2751f). Wird hier nicht beschrieben, was „hinter dem Vorhang“ ist?

  • 15.7.1995

    Es gibt eine Art von Naturschutz, die von den Allmachtsphantasien der Verwaltung durchsetzt, und die, indem sie Natur zum Verwaltungsobjekt macht, die letzte Erinnerung an Freiheit, für die Natur als Gegenpol des Gesellschaftlichen auch einsteht, aus der Natur austreibt.
    Hängt nicht die Sexualmoral mit dem Herrendenken über das Unschuldssyndrom zusammen. Im Ideal der Jungfräulichkeit (und in der Institution des Zölibats) wird ein Bild der Unschuld vor Augen gestellt, das dem Schein der Unschuld, auf den Politiker angewiesen sind, aufs genaueste korrespondiert. Zum Ideal der Jungfräulichkeit gehört ein vom Anthropomorphismus gereinigter Gott, ein Gott, den nichts reut. Das Jungfräulichkeitsideal ist ein Implikat des Herrendenkens. Das Unschuldssyndrom ist wie die theologische Beziehung von Natur und Übernatur, die den Bann des Naturbegriffs auf die Theologie überträgt, gnadenlos.
    In einer Welt, in der es Unschuld nicht mehr gibt – und eigentlich schließt der Weltbegriff Unschuld apriori aus -, gibt es nur noch den Schein der Unschuld: die Heuchelei. Heuchelei aber schließt das Tabu auf der Schuldreflexion mit ein. Das Dogma ist die spekulativ durchorganisierte Heuchelei, die in der Bekenntnislogik das Instrument ihrer redundanten Selbstbegründung gefunden hat (Zusammenhang des Logozentrismus mit dem Bann des Indikativs). Das Säkularisat dieses Heucheleikonstrukts sind die Naturwissenschaften. Der Naturbegriff begründet und stabilisiert den projektiven Erkenntnisbegriff, er begründet damit die Xenophobie (oder ist selber eine Folge und ein Mittel der Absicherung der Xenophobie). Für die Forstverwaltung sind Spaziergänger die Ausländer des Waldes.
    Woher stammt der Ausdruck „Behörde“, und was bedeutet das Suffix -de (vgl. auch Freude, Gemeinde oder Allmende; -de lt. Kluge ein Suffix zur Bildung von Adjektiv-Abstrakta, sekundär auch Verbalabstrakta, „heute nicht mehr produktiv“)?
    Gehört nicht zu dem alten Arbeitstitel „Religion als Blasphemie“ als Ergänzung der andere „Blasphemie als Gebet“? Wird nicht, wenn Religion zur Blasphemie geworden ist, das, was in dieser Religion als Blasphemie empfunden wird, zum Gebet?

  • 11.7.1995

    Religion für andere, das ist die Religion der leeren Köpfe, in die die Religion von außen eingefüllt werden muß. Aber sind nicht alle Religionen unterm Bann des Weltbegriffs Religionen für andere, und ist nicht deshalb die Religion, der man angehört, „ohnehin die falsche“?
    Durch die Verdrängung der Parusie-Erwartung (durch Anpassung an die Welt) ist die Religion zwangsläufig zur Religion für andere geworden. Diese Bemerkung gilt generell, insbesondere und konkret aber für die Geschichte der Dogmenentwicklung (Martin Werner). Eine Religion, die sich in der Welt einrichtet, wird zur Religion für andere.
    Die Kritik der Trennung von Natur und Welt gründet in dem Satz: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.
    Ist nicht das Buch Kohelet der Beweis dafür, daß der Weltbegriff das Erbe des Götzendiensts, der Idolatrie, angetreten hat? Das „Alles ist eitel“ gründet in der Nichtigkeit der Götzen.
    Sind nicht die biblischen Xenophobie-Geschichten (Sodom, Jericho und Gibea) allesamt antimessianische Geschichten?
    Zum Begriff einer Theologie im Angesicht Gottes: Das Reich der Erscheinungen ist das Reich der Unerkennbarkeit der Dinge, wie sie an sich sind; nur Gott sieht ins Herz der Dinge.
    Das Paradigma der Kommunikation im Reich der Erscheinungen ist der Stoßprozeß: der Zusammenstoß zweier Köpfe. Bezieht sich hierauf das biblische Symbol des Horns?
    „Allein den Betern …“ (Reinhold Schneider): Die Frage, wie (und nicht ob) Beten nach Auschwitz noch möglich ist, hängt zusammen mit dem, was Habermas „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ genannt hat: mit Veränderungen im Begriff der Öffentlichkeit, die insbesondere am Problem des öffentlichen Gebets (an der Beziehung des Gebets zur Öffentlichkeit) sich demonstrieren lassen. Sie rührt an den Kern der Frage nach der Möglichkeit einer Theologie im Angesicht Gottes, sie rührt an den Grund des Weltbegriffs.
    Das Dogma ist die Narbe an der Stelle, an der Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat. War die Tat des Alexander, an die das Versprechen der Herrschaft über Asien geknüpft war, nicht eine sprachgeschichtliche Tat: War das Neutrum das Schwert, das Objekt und Begriff, Natur und Welt getrennt (und sie in dieser Trennung konstituiert) hat. In der Bibel wird das Neutrum durch die Schlange, das Durchschlagen des Knotens durch den Baum der Erkenntnis (seine Trennung vom Baum des Lebens) und den Sündenfall symbolisiert. Die indoeuropäischen Sprachen entspringen mit der Erfindung des Wissens (des Gesehenhabens, Kristallisationskern des Neutrum und Urform der Anschauung, unter deren Gesetz diese Sprachen seitdem stehen), Zentrum der gemeinsamen Grammatik (und ihrer Sprachlogik). Das Dogma war der paradoxe Versuch, die Offenbarung, zum Gegenstand der Anschauung zu machen (sie ins Präsens zu übersetzen, den Imperativ in den Indikativ zu transformieren); in Wahrheit hat es sie neutralisiert.

  • 6.5.1995

    Macht und Bekenntnis: Ist nicht das „theis heauton“ des Marc Aurel, wie die Stoa insgesamt, ein Vorläufer der Bekenntnisliteratur von Augustinus bis Rousseau? War nicht Marc Aurel ein Vorläufer Konstantins und die Stoa die Embryonalform des Staatschristentums?
    Confessor und Virgo: Unterm Titel der Schuld wird das Vergehen auf das Urteil der Andern bezogen, und dagegen hilft gleichsam prophylaktisch das Bekenntnis, während der Begriff der Sünde auf die Tat sich bezieht: ohne Sünde ist nur die Virgo. Aber ist nicht die Virginitas dann zu einem Qualitätsmerkmal der Ware Frau geworden, zu einem Kriterium ihres Gebrauchswerts (Ursprung der Naturbeherrschung)?
    Gründet nicht die Xenophobie in der Vergewaltigungsmentalität, und ist das nicht der Hintergrund des Begriffs der Sodomie?
    Wenn es ein hochsymbolisches Gleichnis gibt, dann das vom Feigenbaum, der keine Frucht mehr trägt.
    Die Trinitätslehre als Kern der Bekenntnislogik ist der Repräsentant und Statthalter der subjektiven Form der äußeren Anschauung in der Theologie. Durch die Trinitätslehre haben wir Gott in das Gefängnis der Logik der Anschauung, der Bekenntnislogik, eingesperrt (durch die Theologie hinter Seinem Rücken haben wir Ihn zum Autisten gemacht).
    Gehört nicht der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen schaut, zu den Attributen Gottes, die nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen? War das nicht der Sündenfall der Theologie, daß sie den Imperativ in einen Indikativ verwandelt hat? Und diesen Zustand hat sie seit je durch die Ontologie zu retten und zu erhalten versucht. Theologie im Angesicht Gottes ist der Versuch, die gesamte Theologie aus dem Indikativ wieder in den Imperativ zurückzuübersetzen: in das Eine, das nottut.
    Bezeichnet nicht der Begriff der Notwendigkeit in der Logik den Akt der Übersetzung des Imperativs in den logischen Zwang des Indikativ? Die logische Notwendigkeit ist eine, die aus der Verdrängung und dem Zwang der Vermeidung der Gottesfurcht sich herleitet.
    Die Strategie der Vermeidung der Gottesfurcht liegt insbesondere der Geschichte des Ursprungs und der Entwicklung der Raumvorstellung zugrunde: der Ästhetisierung der Wirklichkeit, die den moralischen Bezug durch die Verantwortungslosigkeit des Zuschauens ersetzt. Eines der Instrumente dieser Neutralisierung der Objektivität ist die Ontologie, und diese Position hat die Fundamentalontologie bis in ihre bösen Konsequenzen hinein radikalisiert. Hier (wie für den kirchlichen Antijudaismus, die Häretiker- und Frauenfeindschaft) gilt der Satz: Parvus error in principio magnus est in fine.
    Bangemachen gilt nicht: Wäre nicht die Theologie im Angesicht Gottes eine, die Gott selber Mut macht?
    Schon in den ersten Sätzen der Genesis (in der Erschaffung von Himmel und Erde: und die Erde war wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund) ist das theologische Grundmotiv benannt: der Rhythmus von Katastrophe und Rettung.
    Binden und Lösen: Wenn die Katastrophe nicht als unabwendbares Geschehen, dessen Objekte und Zuschauer wir nur sind, gefaßt wird (wenn sie nicht zu einem unabwendbaren Geschehen, zum „Schicksal“, ontologisiert wird), sondern als Konsequenz und Folge einer moralischen Katastrophe, in die wir verstrickt sind, dann wird auch die Rettung zu einem Akt, an dem wir nicht unbeteiligt sind. Hierauf bezieht sich Joh 129, das Täufer-Wort, das nur begriffen wird, wenn es ins Nachfolgegebot mit hereingenommen wird. Deshalb ist der Titel Menschensohn (mit seinem ungeheuren antitotemistischen Gewicht) ein messianischer Titel. Unverantwortlich gegenüber der Welt, in der es lebt, ist nur das Tier, nicht der Mensch.
    Nur durch die Kritik der Ontologie und die Restituierung der Ethik als prima philosophia vermag die Theologie sich aus dem logischen Bann der Schicksalsidee zu befreien.
    Die frühe Einsicht, daß die Theologie mit den Naturwissenschaften zusammen nicht bestehen kann, wird in eine neues Licht gerückt durch die wachsende Einsicht in die Beziehung des Ursprungs und der Entfaltung der Raumvorstellung zum historischen Objektivationsprozeß und zur Herrschaftsgeschichte. Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang hat seinen realsymbolischen Grund in den drei Dimensionen des Raumes.

  • 21.4.1995

    Der Schatten des Faschismus: Ich glaube, den Faschismus versteht man erst, wenn man begreift, daß Hitler eine Welt hinterlassen hat, die alle Überlebenden und Nachgeborenen zu Komplizen macht; aber nur die Überlebenden auf der Seite der Opfer haben sich nachher schuldig gefühlt, während die, die überlebt und sich arrangiert haben, allen, die die Erinnerung einforderten, entgegenhalten konnten: Du bist mitschuldig, du hast auch überlebt. Zu Joh 129 gibt es keine Alternative mehr.
    Heute kann jede Kritik durch den Hinweis auf die „praktischen Konsequenzen“ zum Schweigen gebracht werden. So bleibt nur noch Feuilleton und Kurturkritik (das folgenlose Schimpfen). Das Prinzip der Lüge ist so tief in der Realität verankert (ein Indiz dafür war schon der Existenzbegriff der zwanziger Jahre), daß Kritik dem Verdacht, bloß Rechtfertigung zu sein, sich nicht mehr entziehen kann. Den Komfort des guten Gewissens (der Freiheit von Schuldgefühlen) kann sich heute niemand mehr leisten. Dagegen setzt die Idee der Erbsünde ihre Ehre darin, auch für die Sünde gerade zu stehen, die man nicht begangen hat.
    Das Vaterproblem Jesu ist ein dreifaches: Er war der Sohn des Zimmermanns, der Menschensohn und der Sohn Gottes.
    Die Eliminierung des kritischen Moments, das in der Frage enthalten ist, weshalb die subjektiven Formen der Anschauung auch objektiv und real sind, macht die transzendentale Logik zum Strick, der das Denken stranguliert, ihm die Luft zum Atmen nimmt. Die subjektiven Formen der Anschauung sind nicht nur der Kelch, sie sind auch Grauen, Grube und Garn (Jer 4843ff), die Reflexionsformen des Kelches.
    Waren nicht in der Antike die Münzbezeichnungen in der Regel zugleich auch Gewichtsbezeichnungen (vgl. Faure: Magie der Düfte, S. 246), und war nicht das Gewicht (wie es auch im Bilde der Waage sich darstellt) die Urform des Vergleichs, der Äquivalenzbeziehung (der Mathematisierung der Dinge)? Das Gewicht ist die Selbstreflexion der Beziehung zu anderen in den Dingen.
    Maß, Zahl und Gewicht: Kontinuierliche Größen lassen sich messen. Aber die unmittelbare Form des Messens findet sich nur im Raum, im räumlichen Verschieben und im Anlegen des Maßes an ein Objekt. Das Messen der Zeit ist eigentlich ein verstecktes Zählen; an die Zeit läßt sich kein unmittelbares Maß anlegen, dem Zeitmaß liegt das Zählen periodischer Bewegungen zugrunde, die Umläufe der Sonne, die Periodizität des Jahresablaufs, bis hinunter zum Pendel, zur Unruhe, zur Quarzfrequenz. Periodische Bewegungen (Reflexe des Zeitablaufs im Raum) sind Kreis- und Wellenbewegungen. Zeitmessung setzt Redundanz, die Wiederkehr des Gleichen, voraus.
    Wie hängt der Zufall (gebildet als Übersetzung von accidens) mit dem Fall zusammen? Und wie mit der Kontingenz (dem sprachlichen Reflex des Kelches)? Ist nicht die kantische Erscheinung die Totalität des Kontingenten, und das Kontingente das durch die subjektiven Formen der Anschauung Vermittelte (in ihnen Enthaltene)?
    Wenn die Bekenntnislogik der Repräsentant der subjektiven Formen der Anschauung in der Theologie ist, dann ist jeder Inhalt eines Bekenntnisses etwas Kontingentes (das Anderssein dessen, als was es „bekannt“ wird). Das Absolute als innere Grenze der Erscheinungen ist ein Teil des Reichs der Erscheinungen, es transzendiert die Erscheinugnen nicht: wie die Feste des Himmels, an die die Sterne geheftet sind.
    Wie sind die Sterne des Himmels und der Sand am Meer aufeinander bezogen?
    Zur Beziehung des Buchs Tobit zum Buch Jona: Ist nicht der Spruch „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“ wahr, auch wenn Gott am Ende barmherzig ist?
    Ist die Mischung aus Desinteresse, Zudringlichkeit und Selbstbezogenheit nicht auch ein Produkt der Logik des Fernsehens, der Bindung der „Information“ an ein optisches Medium.
    Verkommenes Herrendenken: Die Ambivalenz des Begriffs Ausland läßt sich an den Extremen festmachen, am „Ausländer raus“ der Nazis (an der Xenophobie) und an der moralischen Autorität, die die Politiker so gern mit dem Namen des Auslands zitieren, wo ihnen das Gewissen nicht mehr einfällt. Es steht zu befürchten, daß beide Begriffe im Grunde eins sind: Wenn Nazis die Ausländer totschlagen, meinen sie das eigene Gewissen. Deshalb ist der Kern jeder Xenophobie der Antisemitismus. Spiegelt sich nicht in der Ambivalenz des Ausländerbildes die des Frauenbildes?

  • 12.4.1995

    Das Tier, die Sexualmoral und der Fundamentalismus: Die Fixierung auf die Sexualmoral ist das Instrument der Verdrängung der Herrschaftskritik. Das Entscheidende an der Geschichte von Sodom und Gomorrha ist nicht die sogenannte Sodomie, sondern die Xenophobie, die Fremdenfeindschaft, die dann freilich, nämlich in ihrem politischen Kontext, zu einer Art von Sodomie, von Unzucht mit dem Tier, geworden ist.
    Der Fundamentalismus ist das Produkt einer Beziehung zur Sprache, deren sexualmoralische Wurzeln im Begriff der Welt liegen.
    Bezieht sich das Wort im letzten Teil des Johannes-Evangeliums; Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich wiederkomme, auf die Johannes-Apokalypse?
    Die den „subjektiven Formen der Anschauung“ zugrunde liegende Vorstellung des Raumes als Behälter, „in“ dem die Dinge unabhängig von unserer Wahrnehmung, unserem Denken und Erkennen enthalten sind (das Kelchsymbol), ist von der Vorstellung der Zeit als Behälter, die eigentlich nur für die Vergangenheit zutrifft, durch die subjektive Form der inneren Anschauung (dem Vorrang der Vergangenheit in der Zeitvorstellung) auf die Zukunft übertragen wird, nicht zu trennen.
    Hängt nicht der Bruch in der Nachkriegstheologie (der Bruch, der mit dem Paradigma Auschwitz zu benennen ist) mit dem Bruch im Eucharistieverständnis zusammen? Der „Leib des Herrn“, der nach katholischer Tradition in der Eucharistie gegenwärtig ist, hat etwas mit den in Auschwitz ermordeten Juden zu tun. Und Auschwitz hat so, wie es u.a. den kannibalischen Aspekt am sakramentalen Eucharistieverständnis in Bewußtseinsnähe gerückt hat, die Verdinglichungsautomatik, die die gesamte Orthodoxie beherrscht (den Statthalter des Weltbegriffs in der Theologie), erstmals reflexionspflichtig und -fähig gemacht. Die Theologie und ihre kirchlichen Institutionen sind in die europäische Herrschafts- und Bewußtseinsgeschichte verflochten. In der Schrift hat dieser Sachverhalt im Kelchsymbol seinen angemessenen und deutlichen Ausdruck gefunden.
    War Saulus nicht ein V-Mann (zunächst der Hohepriester, der Sadduzäerpartei, dann, in durchaus realistischer Einschätzung der Machtverhältnisse, der Römer (der Mord an Stephanus, die „Bekehrung“ und der Namenswechsel)? Und hängt nicht die Logik des Ermittlungs-, Fahndungs- und Anklageapparats (Bundesanwaltschaft und BKA) mit dem Stand der verdrängten Logik des christlichen Dogmas (mit dem gegenwärtigen Stand der Bekenntnislogik) zusammen? Paulus war der erste Agent des Weltgeistes, als dieser – herrschaftsgeschichtlich bedingt – vom offenen zum konspirativen Handeln (vom Handeln im Angesicht zum Handeln hinter dem Rücken: zur Geschichte der „vollendeten Tatsachen“) überging. Der Welt, die der Inbegriff dieser vollendeten Tatsachen ist, hat das etablierte Christentum das Überleben ermöglicht und gesichert.

  • 7.4.1995

    Es gibt einen Naturgrund sowohl der Herrschaft als auch der Schrift. Der Begriff ist der gekreuzigte Name (damit die Schrift, genauer: die Logik der Schrift, erfüllt werde): Im Kontext von Joh 129 erweist sich der Name des Logos als Ausdruck der benennenden Kraft der Sprache. Realhistorisch wie auch im Realsymbol des Kreuzestodes ist der Name gekreuzigt, gestorben und begraben, ist er nur als Erinnerung: als Begriff noch gegenwärtig (der Begriff ist das durch die Logik der Schrift vergegenständlichte Wort). Diese Erinnerung verhält sich zum vergangenen Ereignis wie der Begriff zum Objekt: Sie erreicht es nicht, bezeichnet es bloß. Raumfahrt: der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort. Ursprung der Theologie: Tod und Auferstehung Jesu haben sich angeboten als symbolische Lösung eines logischen Problems in der Ursprungsgeschichte der philosophischen Aufklärung (eines Problems, das in ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte im Kontext des Römischen Reiches entstanden ist). Grund dieser symbolischen Lösung war die Vergegenständlichung und Neutralisierung des Opfers, sein Preis dessen Verinnerlichung (das Opfer der Vernunft). Ist nicht der Tod der Initiator der Kunst wie des Mythos? Und wenn Paulus auf das Seufzen und die Wehen der ganzen Schöpfung hinweist: verweist er damit nicht auf das innerste Geheimnis der Kunst wie des Mythos? Die ungeheure Bedeutung der kantischen Antinomienlehre liegt darin, daß sie eine Beziehung der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, zur Sprache herstellt. Ist die affirmative Trinitätslehre eine Verkörperung der drei Versuchungen Jesu, und weisen diese nicht zurück auf die drei Vorphasen des Sechstagewerks (tohuwabohu, Finsternis über dem Abgrund und den über den Wassern brütenden Geist Gottes)? Kann es sein, daß die ersten beiden Schöpfungstage auf das tohuwabohu, der dritte und vierte auf die Finstenis über dem Abgrund und der fünfte und sechste auf den Geist über den Wassern sich beziehen? Hinter dem Rücken: Ist der Verdacht gänzlich unbegründet, daß der Verfassungsschutz sowohl im Fall der Startbahnmorde als auch jetzt im Verfahren gegen Birgit Hogefeld die vollendeten Tatsachen geschaffen hat, die in den beiden Fällen die Anklage begründe(te)n. Was beim Celler Loch mißglückt ist, kann das nicht auch hier versucht worden sein? Wenn man davon ausgeht, daß es keine Erfindungen ohne fundamentum in re (ohne Naturgrund) gibt, dann lassen sich auch Barbaren und Wilde als Erfindungen bezeichnen. Erfindungen sind zweckorientierte technische Verfahren der Naturbeherrschung; dieser Definition entsprechen auch die Namen der Barbaren und Wilden, die beide als projektive Formen der Verarbeitung von Erfahrungen im Interesse politischer Ziele (als Produkte des Vorurteils) sich begreifen lassen. Vorurteile sind Techniken der Naturbeherrschung auf der Basis der zweiten Natur. Antisemitismus und Xenophobie lassen ohne diesen technischen Aspekt nicht sich begreifen. Seit je war Rechtfertigung, war die legitimatorische Begründung des Bestehenden, war Apologetik nur möglich im Kontext von Vorurteilsstrukturen. Die transzendentale Logik Kants war der erste Versuch der Selbstreflexion dieser Vorurteilsstrukturen. Erster Grundsatz der Ästhetik: Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und der öffentliche Blick, der die Scham erweckt, ist immer noch der männliche Blick. Hören und Sehen, Gesicht und Wort: Die Unterscheidung Seines Bildes vom Bilde Gottes in der Geschichte der Erschaffung des Menschen (in denen Gott als Subjekt und als Objekt erscheint): Hat sie vielleicht ein Echo in der Vision des Stephanus, der „die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen“ sah und ausrief: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“. Verhalten sich die Herrlichkeit Gottes und Jesus zum offenen Himmel und zum Menschensohn wie Sein Bild zum Bilde Gottes? – Paulus wurde nur entrückt, er hat nicht den Himmel offen gesehen. Aber gehört vielleicht die unterschiedliche Fassung der Bekehrung Pauli in Apg 9 und 22 in diesen Zusammenhang (haben die Begleiter die Erscheinung gesehen oder gehört)? In den gleichen Zusammenhang gehören die beiden Stellen in der Paradieses-Geschichte: Sie waren nackt, und sie schämten sich nicht, und: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. – „Wenn dies zu geschehen anfängt, so richtet euch auf und erhebt euer Haupt: denn es naht eure Erlösung“ (Lk 2128). Wenn es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt: Bezeichnet das nicht auch ein sprachliches Phänomen? Apokalyptik: Die Erfindung der Tiefenzeit (und die homogene Zeitvorstellung) ist eine Existenzbedingung des Tieres. Und ist nicht die Abtreibungsdebatte der Versuch der projektiven Verarbeitung eines apokalyptischen Sachverhalts? Erst im Kontext des Weltbegriffs gibt es den diabolos. Und die Engel- und Dämonenlehre (im Kontext der Apokalyptik) gehört zur Vorgeschichte der transzendentalen Logik.

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