Xenophobie

  • 6.4.1995

    Naturwissenschaften als Umkehr der Prophetie: Theoretisches Handeln (das Handeln des Begriffs und die Entfaltung der Raumvorstellung) ist symbolisches Handeln, das umso wirksamer ist, als es namenlos ist: Es hat kein Bewußtsein seiner selbst. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist das Produkt der Neutralisation der Umkehr und zugleich Symbol der Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (darauf bezieht sich das Wort vom horror vacui, den wir längst erinnerungslos verinnerlicht haben). Die Geschichte der Entfaltung der Raumvorstellung gehört zur Geschichte der Konfessionalisierung des Symbolums. Die Säkularisierung aller theologischen Gehalte: Das ist schon geleistet in den Naturwissenschaften. Umkehr- und Spiegelpunkt dieser Geschichte war das Symbolum (das Dogma, in dem die Vergangenheit verdrängt, die Zukunft verdunkelt, der prophetische Geist gelöscht wurde). Der verworfene Eckstein: Joh 129. Das Symbolum ist die Erinnerungsspur des vergessenen Traums des Nebukadnezar.
    Die Reversibilität aller Richtungen im Raume und die Neutralisierung der Unterschiede zwischen den einander entgegengesetzten Richtungen ist eine Folge der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, sie ist das Werk der Neutralisierung aller theologischen Gehalte.
    Woher stammt der Ausdruck „nordische Rasse“? Hat er etwas mit der biblischen Richtungssymbolik zu tun (mit dem Norden der Schrift)?
    Ist nicht die Idee des Absoluten der Inbegriff der vergessenen göttlichen Namen, auf die die sechs Richtungen des Raumes nach einer kabbalistischen Tradition versiegelt sind?
    Die Sodomie ist ein anderer Ausdruck für Xenophobie: Auch der Fremdenhaß hat etwas mit der Unzucht mit Tieren zu tun.
    Verweisen nicht die Frauen im Stammbaum Jesu darauf, daß im Christentum (aufgrund seiner Beziehung zum Weltbegriff und durch die Kraft des Neutrum) das Fremdheitsmotiv auf die Frauen übertragen worden ist und seitdem durch sie repräsentiert wird? Merkwürdig auch die Rolle der Frauen in den drei Xenophobie-Geschichten: In Sodom Lots Frau und Töchter, in Jericho die Hure Rahab und in Gibea die bethlemitische Nebenfrau des Leviten.
    Die Schrift ist ein durchsichtiger Körper, dessen Dimensionen im Objektivationsprozeß um den Preis der Verdunkelung des Körpers herausgearbeitet worden sind.
    Zur Abtreibungsdebatte: Der Biologismus der kirchlichen Sexualmoral ist nicht weit vom Rassismus. Das Keuschheitsgebot scheidet sich wie das Gehorsamsgebot am Weltbegriff: Im Bann der Logik des Weltbegriffs sind sie Instrumente der Neutralisierung (der Desexualisierung und Dinge und ihrer Entfremdung gegen die Sprache), während sie im Lichte der göttlichen Verheißungen als Grund der Gewaltkritik und als Mittel der Barmherzigkeit sich enthüllen. Die gnadenlose und gewaltevozierende Abtreibungsdebatte ist ihr eigener Gegenstand, sie weiß es nur noch nicht.
    Die Verwandlung des Singulars tän hamartian in den Plural peccata mundi bezeichnet genau den Ursprung des Symbolon: Die (gegenwärtige) Sünde der Welt ist in der gleichen Bewegung zu „Sünden der Welt“ vergegenständlicht und pluralisiert worden, als die symbolische Erkenntnis durch ihre Dogmatisierung ins Vergangene des toten Bekenntnisses verdrängt worden ist (Sterben: ire ad plures).
    Islamisierung und und Objektivationsprozeß: Das All ist das Viele, das dem Prinzip der Einheit unterworfen worden ist. Bezieht sich hierauf (und auf die logische Beziehung von Materie und Form, die im Inertialsystem sich vollendet) der Begriff der Unzucht?

  • 19.3.1995

    Der Turm von Babel wurde gebaut, um „sich einen Namen zu machen“, der Tempel in Jerusalem hingegen, um dem Namen Gottes ein Haus zu bauen. Ist es nicht der Begriff, mit dem die Menschen „sich einen Namen machen“?
    Welche Abstraktionsschritte sind nötig zur Bildung des Zahlbegriffs?
    Erbaulichkeit und Trost: Der Trost, den das Erbauliche spendet, ist ein exkulpierender Trost. Er bedient sich des Schuldverschubsystems, um von „Schuldgefühlen“ zu befreien. Damit hängt es zusammen, wenn die erbauliche Schriftinterpretation ohne Antisemitismus nicht zu haben ist.
    War nicht die Fixierung des „Kenntnisstandes“ des Gerichts am Anfang des Hogefeld-Prozesses die Selbstlegitimation einer massiven Vorverurteilung, eine Verurteilung ohne die Notwendigkeit, das Urteil durch sorgfältige Beweisführung begründen und absichern zu müssen. Hier wurden die synthetischen Urteile apriori festgezurrt, unter die die Angeklagte vor jeder Beweisführung, nur aufgrund der transzendentalen Logik des gerichtlichen Vorurteils, zu subsumieren war. Das Ansinnen, sich mit der Sache selbst noch einmal auseinanderzusetzen, war damit vom Tisch gewischt; jedes Argument der Verteidigung, das in diese Richtung ging, galt danach als Versuch einer Prozeßverzögerung. Dazu paßt der Eindruck, den das Verfahren selber im Beobachter hervorruft: Durch Mimik, Gestus und Ton geben Gericht und Staatsanwalt zu erkennen, wie lästig ihnen die Verteidigung ist, so als beruhe deren Anwesenheit (wie auch die der Prozeßbesucher, die man dann auch durch entwürdigende Eingangskontrollen abzuschrecken versucht) auf eigentlich nicht mehr recht einsichtigen formalen Verfahrensvorschriften, an die man sich leider halten muß.
    Haben früher einmal die Taten der raf dazu beigetragen, ihre eigenen Ziele und Motive, und damit auch deren öffentliche Diskussion, zu diskriminieren, so scheint sich heute das Blatt zu wenden: Das rigide Vorgehen gegen Mitglieder der raf in Verfahren, mit denen man nur noch zu testen scheint, was der Öffentlichkeit heute alles zugemutet werden kann, erzwingt geradezu die Reflexion auf die so massiv verdrängten Intentionen der raf, indem sie beginnt, die Weigerung, diesen Diskurs aufzunehmen, unter einen moralischen Rechtfertigungsdruck zu setzen.
    Was Auschwitz und den Nationalsozialismus von allem Vergleichbaren bis in die Gegenwart hinein unterscheidet, scheint darin zu liegen, daß hier erstmals die nationale Paranoia die Mordlust zur vorgeschriebenen Staatsgesinnung gemacht hat. Was bei anderen totalitären Systemen (im Stalinismus wie in den Militärdiktaturen) als ein nicht intendierter Nebeneffekt erscheint, ist im Nationalsozialismus (und in den nachfolgenden rechtsradikalen Gruppierungen) zum Kern der Sache geworden: Ausdruck dessen sind der Antisemitismus und allgemein die Xenophobie (die eigentlich Manifestationen einer Gewissensphobie sind: Vorstufe dieser Gewissensphobie ist die merkwürdige Beziehung der Deutschen zum „Ausland“, das heute im seelischen Haushalt der Deutschen die Stelle einzunehmen scheint, an der in Zeiten, in denen das Moralische das Sich-von-selbst-Verstehende war, das Gewissen seinen Platz hatte).
    Beitrag zur Logik der Schrift: Ist nicht das Verfahren der Pseudepigraphie eines der Delegation: Man möchte für das, was man schreibt, nicht selbst die Verantwortung übernehmen? Und waren nicht die Fälschungen im Mittelalter schon ein Werk der List der Vernunft, Reflex des gleichen Problems, das am Ende im Problem des kontrafaktischen Urteils sich manifestiert?
    Kosmologie, Erkenntnis- und Gesellschaftskritik: Die Verinnerlichung des Schicksals (Ursprung des Begriffs) und die Verinnerlichung der Scham (Ursprung des Inertialsystems) waren ebensosehr objektive wie subjektive Prozesse. Bezeichnen nicht Sem, Japhet und Ham auch welthistorische Knotenpunkte? Und sind nicht die apokalyptischen Tiere Gestalten des Weltgeistes (und der Weltgeist selber die Schlange, die „das klügste aller Tiere“ war)?
    Apokalypse: die Ermittlung und Deutung der Träume der Herrschenden (Nebukadnezars). Nebukadnezar hatte einen Traum, den er aber vergessen hatte, und den Daniel, um ihn deuten zu können, erst finden muß: Die Hegelsche Logik ist dieser Traum; sie ist die Wahrheit, die Hegel verborgen geblieben ist, als Traum. Wäre nicht das Freudsche Verfahren der Traumdeutung dahin zu korrigieren, daß nicht Träume ihre eigene Logik haben, sondern daß die Logik das Material bildet, aus dem die Träume sind? Ohne Logik gäbe es keine Träume: Die Logik ist der Schlaf der Sprache und insofern der Ursprungsort der Träume. Und war nicht die mathematische Logik das Vergessen dieses Traums (Modell des traumlos gewordenen Schlafs)? Verweisen nicht gerade die Elemente der Logik, von denen die mathematische Logik abstrahiert, auf ihre Beziehung zum Traum: das Subjekt und der Grund?
    Die Orthodoxie ist das Mahnmal der heute in sich selber zur Unkenntlichkeit entstellten Erinnerung an das, was die Mathematik, als sie die Orthogonalität entdeckte, verdrängen mußte.
    Wie hängen die sieben Sakramente, die sieben Planeten, die sieben Schöpfungstage und die sieben Siegel miteinander zusammen? Verweist nicht das Siegel auf den Namen: Es war einmal Unterschrift und Signum der Person zugleich. So war mit dem Siebentage-Werk die Welt auf den Namen Gottes versiegelt. Im Namen Beerscheba ist beides enthalten: die Sieben und der Schwur (vgl. hierzu die Siebener-Gruppen in der Johannes-Offenbarung).

  • 11.3.1995

    Wenn Empfindlichkeit pathologisch ist, wer ist dann ihr Subjekt? Der Empfindlichkeit geht es um den Schutz der Bäume, unter denen Adam sich versteckte, als Gott ihn beim Namen rief.
    Ist nicht der Ausdruck „Entfremdung“ doch korrekt? Bezeichnet er nicht die Xenophobie, Grund und Produkt der Anpassung an die Welt, die das Subjekt, indem es das Fremde abstößt, von innen aufzehrt und auslöscht, „sich selbst entfremdet“? Die Entfremdung, indem sie das Fremde abwehrt, richtet sich auf am Anderen, dem sie dann sich angleicht. Entfremdung ist ein anderer Ausdruck für Veranderung. Das Verhältnis zu den Fremden ist der Gradmesser der Autonomie. Der Andere und der Fremde verhalten sich wie Joch und Last, wie Begriff und Name. Hängt nicht die Ambivalenz der christlichen Symbole mit dem Verschwinden des Rinds aus dem Kreis dieser Symbole zusammen, mit der Konsequenz, daß sowohl die Auflösung des Jochs (das Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt) als auch seine Unauflösbarkeit (die Opfertheologie und das Konstrukt der Entsühnung der Welt durch den Opfertod Jesu, das zur Geschichte der Aufklärung als Geschichte der Selbstlegitimation des Bestehenden gehört) als Grund christlicher Erfahrung sich anbieten?
    Verweist nicht auch der Satz: Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Herrn, auf das Verhältnis von Fremdheit und Anderssein? Fremdheit und Anderssein sind geschieden durch die subjektiven Formen der Anschauung (durch den Kelch, dessen Inhalt das Anderssein der Dinge ist). Sie sind geschieden wie der Ewige vom Überzeitlichen.
    Ist nicht die Welt, deren Fundament der Gerechte ist, eine andere als die, deren Fundament die Naturwissenschaften sind?
    In welchem Verhältnis stehen Sodom, Jericho und Gibea (die biblischen Exempel der Xenophobie) zu einander?
    – Auf Sodom bezieht sich die Stelle im Hebräer-Brief, daß die Fremden als Engel sich erweisen. Aber Lot, der anstelle der von der xenophoben Meute herausgeforderten Fremden seine Töchter anbietet (jedoch vor dieser Konsequenz durch die Engel geschützt wird), wird selber später von seinen (von ihm verratenen) Töchtern betrunken gemacht und erzeugt mit ihnen Moab und Ammon. Über die „Moabiterin Rut“ gehören Lot und seine Töchter zum Stammbaum Davids und Jesu.
    – In Jericho ist es nicht das Volk, sondern der paranoide König, der von der Hure Rahab die Herausgabe der Fremden, der Kundschafter Josues, fordert. Rahab, die die Fremden rettet, wird als einzige Einwohnerin Jerichos auch gerettet und gehört ebenfalls zum Stammbaum Davids und Jesu.
    – Gibea ist die Geburtsstadt Sauls. Ein Levit, der als Fremder im Gebirge Ephraim lebt, kommt mit seiner bethlehemitischen Nebenfrau auf dem Heimweg als Fremder nach Gibea, ein Mann, der selbst als Fremder in Gibea lebt, nimmt ihn auf. Als die xenophobe Meute der benjaminitischen Einwohner Gibeas seine Herausgabe fordert, gibt er seine Nebenfrau heraus, die zum Opfer der Meute wird. Bethlehem, der Heimatort der Frau, ist der Geburtsort Davids und Jesu.
    Sodom wird durch Schwefel und Feuer, Jericho durch den Posaunenschall der Israeliten, Gibea nach einem Vergeltungskrieg ganz Israels an dem einen seiner Stämme, in dem diese schreckliche Tat begangen wurde, zerstört.
    Der Begriff unterscheidet vom Namen durch die Monologisierung, durch seine äußerliche, durch die „dritte Person“ vermittelte Beziehung zum Objekt, gleichsam durch ein in ihn installiertes, gegen das Objekt gerichtetes Lachen: durch die subjektiven Formen der Anschauung, die das Objekt zum Objekt erstarren machen.
    Der Name unterscheidet sich vom Begriff dadurch, daß er (wie nach Emanuel Levinas die Attribute Gottes) die Trennung von Indikativ und Imperativ suspendiert: er steht im Imperativ (er ist als Name zugleich Gebot – aber eines, das in der Objektivität der Sprache, und subjektiv im Hören, gründet). Oder – in Abwandlung eines Satzes von Herrmann Cohen: auch für den Namen gilt, daß er kein Attribut des Seins, sondern des Handelns ist (so wie die Attribute Gottes die Qualität des Namens, nicht des Begriffs haben). Ist nicht Joh 129 ein Teil des Namens Jesu, und rückt nicht das „Bekenntnis (homologein) des Namens“ diesen ins Zentrum des Nachfolgegebots? Die Theologie wird durch die wiederzugewinnende Kraft des Namens (durch die Heiligung des Gottesnamens oder als Theologie im Angesicht Gottes) überhaupt erst zur Theologie.
    In der Beziehung zum Namen gründet, was Adorno einmal „eingreifende Erkenntnis“ nannte. (Aber was bedeutet in Gesetzen und Urteilen das „Im Namen des Volkes“; ist der „Name des Volkes“ das allen Gesetzen und Urteilen zugrunde liegende Gewaltmonopol des Staates?)
    Der Johanneische Logos bezieht sich auf die Kraft des Namens (und nicht auf den „Begriff“). Die Differenz liegt in Joh 129, eine Stelle, die falsch übersetzt werden mußte (mit fatalen Konsequenzen für die gesamte Theologie), um den Anschluß der Theologie an die Philosophie sicherzustellen. Die Frage, ob das Dogma der Hellenisierung der Theologie oder der Enttäuschung der Parusieerwartung sich verdankt, ist falsch gestellt: Beide Thesen bezeichnen nur zwei verschiedene Aspekte des gleichen Sachverhalts.
    Die Vision rührt an das Schauen Gottes, nicht an die „Anschauung Gottes“, eine contradictio in adiecto.
    Stehen nicht die Siegel (mit denen das Buch versiegelt ist) für den Namen? Und wenn die sechs Richtungen des Raumes nach kabbalistischer Anschauung auf sechs Aspekte des Gottesnamens versiegelt sind, kommt das nicht der Wahrheit der apokalyptischen Siegel nahe? Das Problem des Raumes ist nur im Kontext der Rekonstruktion (der Wiederherstellung) der benennenden Kraft der Sprache aufzulösen.
    Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, ist auch das Lamm, das würdig ist, die Siegel zu lösen: Nach dem Wort vom Binden und Lösen ist etwas von dieser Kraft an die Kirche übergeben worden (die dann ihr Talent im Dogma vergraben hat); das aber setzt voraus, daß das Auf-sich-Nehmen der Sünde der unters Nachfolgegebot fällt.
    Kann es sein, daß das Verhältnis des Feminismus zur Kirche in dem Satz der Martha vorm Grab des Lazarus vorbezeichnet: „Herr, er riecht schon“ (Joh 1139)?
    Die christliche Theologie hat immer aus zweiter Hand gelebt: die der Kirchenväter von Philo und die der Scholastik von Maimonides. Kann es nicht sein, daß das Werk Franz Rosenzweigs heute eine ähnliche Bedeutung hat, wir sie nur noch nicht erkannt haben?
    Wenn Ezechiel die Namen Daniels und Hiobs zusammen mit dem des Noe nennt, so rückt er beide in eine Beziehung zum Stammvater der Menschheit nach der Sintflut. Verweist es aber nicht zugleich auch darauf, daß bereits für Ezechiel Hiob und Daniel (deren Namen er kennt) zusammen mit Noe an die Qualität und den Charakter des Gerechten rühren? Welche Bedeutung hat diese Stelle für die historische Bibelkritik, für die historische Zuordnung der Bücher Daniel und Hiob?

  • 9.3.1995

    Umkehr: Die Frage ist nicht, ob man nach Auschwitz noch beten kann, sondern was es heißt, nach Auschwitz zu beten. In der heutigen Morgenpredigt, in der der Theologe die Frage von J.B. Metz zitierte, wurde die Frage nach Versöhnung an das Opfer statt an die Täter gerichtet. Und den Opfern, nicht den Täter wurde Verhärtung, die Versteinerung der Herzen unterstellt. Vgl. aber Mk 1125 und Mt 524. Steht unsere Theologie sich hier nicht selber im blinden Fleck?
    Nicht eine narrative Theologie – die Zeit des Erzählens ist vorbei -, sondern begreifen, daß in der Haggada die Prophetie sich verbirgt.
    Verhalten sich nicht die Naturwissenschaften zur Wahrheit wie das Recht zur Gerechtigkeit? Darin ist die Notwendigkeit einer Kritik der Naturwissenschaft begründet.
    Anmerkung zu Heinsohn: Gibt es nicht auch einen islamischen Antisemitismus, mit gleichem Effekt, aber ohne Menschenopfertradition?
    Was bedeutet es eigentlich,
    – wenn die Hure Rahab die Kundschafter des Jesus (wie Flavius Josephus den Josue nennt) vor der xenophoben Verfolgung durch den König von Jericho schützt,
    – wenn die Tamar durch den Verkehr mit dem Schwiegervater den Stammbaum Davids und Jesu begründet,
    – wenn Jericho gegen das Verbot, es wieder aufzubauen, nur wieder aufgebaut werden kann durch das Opfer des Erstgeborenen und des Jüngsten?
    Die Sekten sind die letzte Gestalt der Häresie. Sie erinnert die Kirche daran, daß sie endlich die Apokalypse begreift und sie denen entreißt, die sie als Angstgenerator benutzen, um die Schäflein in ihre eigenen profitablen Hürden zu treiben. Es gibt fatale Ähnlichkeiten (bis hin zur Identität) heute zwischen den Methoden, mit denen Sekten neue Mitglieder werben, und der Kundenwerbung unseriöser Wirtschaftsunternehmen.
    Sind nicht die theologischen Mucken der Waren die Geschäftsgrundlage der Sekten; und sind sie nicht solange wirksam, wie sie nicht in die theologische Reflexion mit aufgenommen werden?
    Ebenso wie das Selbsterhaltungsprinzip und das Eigeninteresse ist auch das Inertialsystem ein Vorurteilsgenerator und eine Verdrängungsmaschine. Der naturwissenschaftliche Blick auf die Dinge gründet in einer Tradition, die in den Naturwissenschaften sich vollendet: in der Tradition der Anschauung. Fällt dieser Blick nicht unter das Ezechiel-Wort: „Mein Auge soll nicht gütig blicken, und ich will mich nicht erbarmen“ (Ez 818 u.a.).
    Ist nicht durch die kleine Differenz, die das Anschauen vom Schauen, von der Vision, unterscheidet, indem sie das Schauen von seinem sprachlichen Grund trennt, der Quellpunkt der Unbarmherzigkeit? Ist nicht das Anschauen der mitleidlose, nur dem Eigeninteresse gehorchende Blick? Die Anschauung Gottes macht Ihn verstummen; sie macht den Anschauenden blind und lähmt ihn.
    Das Anschauen ruft, mit der Objektivation des Angeschauten, hinter seinem Rücken die „Form der Anschauung“: den Kelch (den Taumelbecher, den Kelch des göttlichen Zorns und den Unzuchtbecher) hervor. Die durch die Form der Anschauung veränderte Sprache ist der Inhalt des Kelchs. Während nur fürs Schauen der „Himmel sich öffnet“, ist es das Anschauen, das ihn verschließt. Die „Wörtlichkeit“ des Fundamentalismus steht (seit dem „ad litteram“ des augustinischen Genesis-Kommentars) unter dem Bann (den Gesetz) dieses Anschauens (des Kelchs). Paulus, der nicht den Himmel offen sah, sondern „in den dritten Himmel entrückt“ war, steht am Anfang, an der Wasserscheide dieser Geschichte. War nicht Stephanus, an dessen Mord Saulus beteiligt war, der Letzte, der den Himmel offen (und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes“) sah (Apg 755)? War der Mord an Stephanus (dessen am zweiten Weihnachtstag gedacht wird) das Zwischenglied zwischen dem Kreuzestod und der Opfertheologie?
    Hat das Präfix Er- in Begriffen wie „Erscheinung“ etwas mit dem Personalpronomen der dritten Person m. sing. zu tun? Im Begriff der Erscheinung steckt die Reflexionsbeziehung zu den Formen der Anschauung mit drin.
    Bezeichnet nicht der Begriff der Weltanschauung den Unzuchtsbecher? Gegenstand der Anschauung ist das Naturobjekt; so macht die Weltanschauung die Welt zu einem Naturobjekt, damit aber zu einem Herrschaftsobjekt. Jede Weltanschauung ist ihrer eigenen Logik nach ein Instrument der Weltherrschaft (mit ebenso destruktiven wie nekrophilen Konsequenzen: nicht zufällig war der erste „Weltanschauungskrieg“, der gegen „den Bolschewismus“, ein Vernichtungskrieg).
    Karl Kraus hat einmal auf die Beziehungen zwischen der Phrase und ihren blutigen Folgen hingewiesen. Die schlimmsten Dinge künden sich in der Sprache an, und wer die nötige Sensibilität besitzt, nimmt sie wahr, bevor sie eintreten (Beispiel: die „Dritte Walpurgisnacht“ von Karl Kraus). Wäre nicht endlich das homologein aus seiner verdinglichten Bindung ans „Bekenntnis“ herauszulösen und als Sprachsensibilität zu begreifen? Das „Bekenntnis des Namens“ wird so zum Inbegriff der Nachfolge. Im Namen wird der Indikativ zum Imperativ, das Sein zum Handeln, die Ontologie zur Ethik. Im Namen gründet die eingreifende Qualität der Erkenntnis, durch die sie über das Wissen hinausweist. Diese Erkenntnis begnügt sich nicht mehr mit „überzeitlichen Wahrheiten“, sie sucht in den Zeitkern der Wahrheit einzudringen, in dem sie Anteil an der Prophetie gewinnt. Das ist in der Schrift mit Gotteserkenntnis gemeint, die so mit der Erfüllung des Worts konvergiert. Ihr Organ wäre eine Theologie, die frei im Angesicht Gottes statt unter den von der Welt aufgezwungenen Rechtfertigungszwängen hinter seinem Rücken sich bewegt. Hierauf bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen (Mt 1619 und 1818).
    Die Söhne Leas (der Kuh) waren Ruben, Simon, Levi, Juda, Issachar und Sebulon, die Söhne Rahels (des Mutterschafs): Josef und Benjamin.
    Jericho: Welcher König hat Jericho wieder aufgebaut, und kommt in den Evangelien, außer in der Geschichte vom barmherzigen Samariter, Jericho noch einmal vor?
    Zwei Stellen aus Büchners „Lenz“:
    – „Aber ich, wär ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten“ (S. 106) und
    – „… und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und faßte ihn ganz sicher und ruhig und fest“ (S. 100).
    Was Hegel so gelassen niederschreibt: Das Eine ist das Andere des Anderen, ohne die Gewalt dieses Andersseins zu reflektieren, führt genau in den leeren Kern des Weltbegriffs (in das darin sich reflektierende Verhältnis von Lachen und Schrecken). Die Dialektik von Lachen und Schrecken läßt sich an der Ästhetik des modernen Kirchenbaus demonstrieren, wenn im Innern die Ornamente und die Fresken verschwinden und die Außenwand nach innen gekehrt wird, so als wäre die Differenz der kirchlichen Innenwelt gegen die Außenwelt (gegen Ökonomie und gegen die durch Naturbeherrschung definierte Natur) aufgehoben, die Außenwelt zur alles beherrschenden Macht geworden.
    Die Geschichte der Barmherzigkeit hat die zivilisationsbegleitende Phase, ihre Metamorphose in der Hysterie, mit Freud beendet, aber so, daß sie zu einer strukturellen Bestimmung der Objektivität selber geworden ist: Die Geschichte ist in ihre faschistischen Phase eingetreten. Nachdem die Hysterie in der Gestalt psychosomatischer Erkrankungen den Frauenkörper durchwandert hat, hat sie als Lüge die Dingwelt ergriffen.

  • 26.1.1995

    Theologie im Angesicht Gottes: Erst im Licht des göttlichen Antlitzes wird die Welt erleuchtet, wird sie im Licht der göttlichen Verheißungen durchsichtig.
    Sind nicht alle Formen des Glaubens heute durchsetzt von Verlassenheitsängsten, und hat die Flucht der Jünger angesichts der Kreuzigung Jesu sich nicht im dogmengeschichtlichen Prozeß fortgesetzt? Ist der Fluchtpunkt der Geschichte der drei Leugnungen darin nicht vorgezeichnet?
    Nach Franz Rosenzweig sind die Gebete der Einsamen immer in Gefahr, Gott zu versuchen, Aber ist es nicht die Geldwirtschaft, indem sie jeden auf das Gesetz der Selbsterhaltung fixiert, die die Menschen isoliert und in ihnen die Verlassenheitsängste induziert, und die die Gebete zu Gebeten der Einsamen macht? (Deshalb gibt es seit der „Liturgie-Reform“ der Kirche keine Liturgie und keine Gebete mehr.) Nicht die Verurteilung des „Egoismus“, sondern die Reflexion seiner Existenzbedingungen befreit von diesen Zwängen.
    Die Selbstlegitimation des Bestehenden durch die Naturwissenschaften gründet in den Beziehungen der Naturwissenschaften zum System der Selbsterhaltung.
    Identifikation mit dem Aggressor: War es nicht der Existenzbegriff, der die Philosophie aufs Prinzip der Selbsterhaltung vereidigt hat. Zu diesem Existenzbegriff gehört der Begriff der „Eigentlichkeit“.
    Reflex der Selbsterhaltung in der Theologie ist die Bekenntnislogik.
    Liegt die Bedeutung der Apokalypse nicht darin, daß die Kirche erst in dem Augenblick, in dem sie sich selbst im Bilde des Tiers erkennt, vom Bann der Bekenntnislogik sich befreit?
    Ist es nicht die apokalyptische Gestalt der Offenbarung, vor der Franz Rosenzweig zurückgeschreckt ist? Das war die Schwelle, die er nicht hat überschreiten können. Deshalb wird der Stern der Erlösung mit dem dritten Buch des zweiten Teils und dann mit dem dritten Teil so hilflos. Der dritte Teil beschreibt die Wahrheit in der Gestalt ihrer vergangenen Zukunft, den liturgischen Jahreslauf als mythische Wiederkehr des Gleichen. Rührt diese Remythisierung im Jahreskreislauf der Liturgie nicht an das Rätsel der Astrologie?
    Rührt der letzte Satz des zweiten Teils des Stern der Erlösung nicht an einen apokalyptischen Sachverhalt, und wird er nicht wahr, wenn er mit reflektiert wird? Diese Reflexion wird heute erzwungen durch die inzwischen eingetretene faschistische Katastrophe. Sind nicht zum Stern der Erlösung der Geist der Utopie und Lukacs‘ Geschichte und Klassenbewußtsein mit hinzuzunehmen?
    Skinheads und Hooligans: Wäre nicht (vor allem im Hinblick auf die Selbstverständigung der Theologie) endlich zu begreifen, daß der Faschismus nur den Fluchtlinien der Bekenntnislogik gefolgt ist und diese bis zum bitteren Ende ausgezogen hat? Der Rechtsextremismus heute ist nur die real existierende Erinnerung an die Versäumnisse der Theologie: ein Exzess der Bekenntnislogik ohne Gott.
    Zum Verständnis der Schrift als Komposition: Franz Rosenzweig nennt einmal Simson und Saul in einem Atemzug (S. 83). Hat nicht das Erblinden der Einwohner von Sodom im xenophoben Exzess außer mit dem Untergang Sodoms auch etwas mit rätselhaften Wort über die Blinden und Lahmen bei der Eroberung Jerusalems durch David sowie schließlich mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, zu tun: mit dem Hinweis darauf, daß die Blinden sehen und die Lahmen gehen?
    Die Blinden sehen und die Lahmen gehen: Verweist das nicht auf den Zusammenhang des Trägheitsprinzips, des Inertialsystems, mit der Verwirrung der Optik bei Newton?
    Theologische Erkenntnis kommt zu sich selber, wenn sie zur eingreifenden Erkenntnis wird. Hängt die Rosenzweigsche Trennung der Erleuchtung von der Liebestat (die nach Rosenzweig blind ist) nicht damit zusammen, daß er die apokalyptische Schwelle der Erkenntnis nicht zu überschreiten wagt? Die Erleuchtung, die die Liebe sehend macht, ist die apokalyptische. Darin steckt der dreifache Bezug des Symbols der Schlange, ihre Beziehung
    – zum sprachgeschichtlichen Ursprung des Neutrum (die bei Rosenzweig anklingt, aber nicht im Zusammenhang begriffen wird),
    – zur Ursprungsgeschichte der Astronomie (und zu den Seraphim), und
    – zu Babylon, zur Ursprungsgeschichte der politischen Theologie.
    Die Geschichte der modernen Naturwissenschaften beginnt mit der Hexenverfolgung und endet mit Auschwitz. Als Referenzsystem der Aufklärung gehört die Naturwissenschaft zu den Konstituentien der Projektionsfolie, deren die Aufklärung bedurfte, um davor ihre Leuchtkraft zu begründen: dem Begriff der Wilden, der die der Barbaren und der Heiden ersetzt hat. Wenn der Begriff der Barbaren als eine Inversion des Namens der Hebräer sich begreifen läßt, und der der Heiden (der „Völker“) auf den Namen der Christen verweist, worauf bezieht sich dann der Begriff der Wilden?
    Die mythische Welt ist die verschlossene Welt, die erst durch Umkehr sich auftut: So entspringt – durch Umkehr
    – Gottes Schöpfermacht seiner Freiheit, die Offenbarung dem Schicksal,
    – des Menschen Demut seinem Trotz, seine Liebe dem Charakter.
    Was geschieht der Fülle und dem Logos der verschlossenen Welt, wie findet der Begriff der Umkehr hier einen Ansatz und ein Ziel?

  • 17.1.1995

    Die Gottesfurcht ließe sich definieren als die Rücknahme des projektiven Denkens (als Produkt der Metanoia), so wie umgekehrt der projektive Erkenntnisbegriff aus der Strategie der Gottesfurcht-Vermeidung sich ableiten läßt (das Neutrum als Kern eines Schuldverschubsystems).
    Der Weltbegriff ist der Inbegriff und der Versuch der Selbstlegitimation des projektiven Denkens.
    Logik und Funktion des Substantivs wären anhand der Logik und Funktion des idealistischen Ich zu demonstrieren.
    Zur Unterscheidung des Anderen vom Fremden: Das Andere ist das, was Fichte das Nicht-Ich genannt hat, eine systemimmanente, logisch aufs Ich bezogene und zugleich den Weltbegriff fundierende Bestimmung. Während der Andere ichfremd ist, bezeichnet der Name des Fremden ein der eigenen Welt Fremdes, etwas Gattungsfremdes: Hier liegt der Grund, weshalb Xenophobie nur rassistisch sich begründen läßt.
    Sind Sodom, Jericho und Gibea nicht auch Decknamen des Hellenismus (und die Fremden in diesen Städten für deren Bewohner „Barbaren“)? Sodomitisch ist die Xenophobie, deren Beziehung zum biblischen Begriff der Unzucht aus den biblischen Texten sich entnehmen läßt.
    Die Sexualmoral und das Tier: Indem die Sexualmoral der bloßen Tabuisierung zuarbeitet, die Reflexion verhindert, enthumanisiert sie die von ihr beherrschte Gesellschaft. Die Sexualmoral entzieht den Bereich der Gattung der Reflexion: Sie ist sie im Kern rassistisch.
    Tiere sind Verkörperungen erstarrter, verdinglichter Projektionsmechanismen; deshalb sind sie erfahrungsunfähig.
    Die Forderung, das projektive Denken zurückzunehmen, das betrifft insbesondere den Gebrauch, den die Theologie von der Schrift macht. Die „Unheilsprophetie“ und die Schreckensbilder der Apokalypsen sind nicht auf andere anwendbar: sie sind Konkretisierungen der Gottesfurcht. Man könnte auch sagen: Nur die göttlichen Verheißungen gelten für alle, die göttlichen Gebote gelten nur für mich.
    Die Rücknahme der projektiven Verarbeitung der Apokalypse (die nur so als Quelle der Angst, als Herrschaftsmittel, sich ausbeuten läßt) hat insbesondere zur Folge, daß der Glaube in den apokalyptischen Bildern und Symbolen nicht in der Opferrolle, sondern in der des Täters sich reflektiert.
    Ist nicht durch das Sabbath-Gebot für die jüdische Tradition die Astrologie ab ovo zeitlich, und nicht räumlich begriffen worden? Und gewinnt hier nicht die Begründung des Sabbath-Gebots durch ihre Beziehung sowohl auf das Sechs-Tage-Werk als auch auf den Exodus ihre enscheidende Bedeutung?
    War Paulus nicht in der Tat der Völker-Apostel (und der Begleiter des Petrus, mit dessen Gedächtnis sein Gedächtnis zusammen gefeiert wird)? Und ist er dadurch nicht zum „Erfinder“ des Christentums geworden und zum Urheber der ersten der drei Leugnungen (das Modell des „falschen Propheten“, der „zwei Hörner hat wie das Lamm und redet wie der Drache“)? So wurde er zwar in den dritten Himmel entrückt, aber der Himmel stand ihm nicht offen (zuletzt dem Stephanus). Gehören die Dämonen-Geschichten der Evangelien (sowie die merkwürdige sachliche Affinität des Petrus zu den Dämonen) in diesen Kontext?
    Ist nicht die Übersetzung der Schrift ins Erbauliche insgesamt das Produkt ihrer projektiven Verarbeitung? Alle negativen Bilder werden auf andere bezogen und so für die Gottesfurcht unschädlich gemacht, neutralisiert.
    Die drei Versuchungen, das waren:
    – die Versuchung, Steine zu Brot zu machen,
    – die Versuchung, sich (von der Zinne des Tempels) hinabzustürzen, und
    – die Herrschaftsversuchung.
    Sind sie nicht alle auf die Kirche, die ihnen verfallen ist, zu beziehen? Was waren die Antworten Jesu auf die Versuchungen? Der Hinweis, daß
    – „der Mensch … nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“, lebt;
    – „du … den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ und
    – ihn „anbeten und ihm allein dienen“ sollst.
    Sind das nicht allesamt Mahnungen an die Kirche?

  • 3.1.1995

    Ist nicht die „Bruderschaft“, als Form der Allgemeinheit, die in der gemeinsamen Beziehung zum „Vater“ gründet, das Medium, in dem die Logik der Schrift (und mit ihr der Begriff des Wissens) sich entfaltet: das Medium der Vergesellschaftung, des Objektivierungsprozesses und der Verweltlichung (Ursprung des Neutrum, Bekenntnislogik)?
    Fantastisch die Ableitung des Begriffs „frei“ (und der „Liebe“) aus dem Selbstmitleid, dem Bedürfnis geliebt zu werden (Benveniste, S. 257ff): Folge des Opfers der Vernunft, das die Bedingung der Aufnahme in die Brüderhorde ist: deren späterer Repräsentant ist das Bekenntnis, dessen Logik hier entspringt.
    Der Begriff des Tieres und der der Selbsterhaltung sind korrelative Begriffe; deshalb gehört der Weltbegriff, der Inbegriff der gegenständlichen Korrelate der Selbsterhaltung, zu dem des Tieres. Die Menschwerdung beginnt mit der Fähigkeit, das Selbsterhaltungsprinzip zu reflektieren.
    Ist nicht mit der „affektiven Beziehung zum Selbst“, die dem indoeuropäischen Begriff der Freiheit zugrundeliegt, der Grund dafür gelegt worden, daß im Deutschen das Sein sowohl das allgemeine Possessivpronomen als auch den Infinitiv des Hilfsverbs „Sein“ bezeichnet (vgl. S. 257 und S. 260)? Diese affektive Beziehung zum Selbst ist Teil eines Schuldzusammenhangs, den das Christentum theologisch verankert hat: Sie konstituiert sich in einer Gestalt der Selbst-Exkulpierung (der „Sündenvergebung“), die über das theologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ (der Opfertheologie und ihrer theologischen Konnotationen) vermittelt ist (und dem Verweltlichungsprozeß seine Schubkraft verleiht).
    Raub der Sabinerinnen: Der Funktion der „angeheirateten Verwandschaft“ im Kontext der indoeuropäischen Institutionen liegt eine im Eigentumsprinzip gründende Rechtsbeziehung zugrunde. Ihr Ursprungsmodell ist der Frauenraub, der der ersten Gestalt der Ehe in der Männerhorde ähnlich zugrunde liegt wie der Diebstahl dem Handel. Gründet das Institut des Privateigentums (sowie der Ehe und des Staates) nicht doch generell in der gewaltsamen Aneignung der Beute durch nomadisierende Männerhorden (das erste rechtsfähige Eigentum waren Sklaven und Frauen)?
    Benveniste hat nur bedingt recht, wenn er versucht, den Begriff des philein, des Liebens, aus der Possessivbeziehung herauszulösen. Selbstverständlich ist er nicht auf die positive, dingliche Eigentumsbeziehung eingeschränkt; aber konstituiert er sich nicht in einer Eigentumsordnung, die auch das Subjekt, den Eigentümer, in ihren Bann zieht und verändert (im Kontext des Ursprungs des Staates, dessen Vorläufer die Brüderhorde ist, und der die Eigentumsordnung, in der es dann Eigentum als Privateigentum überhaupt erst gibt, konstituiert). Wer die Idee des richtigen Handelns, und wer Schuld und Verantwortung an den König und die durch ihn gesetzte Rechtsordnung delegiert, wer sie von der Barmherzigkeit trennt, bleibt unversöhnt, anfällig fürs Selbstmitleid, süchtig danach geliebt zu werden.
    Das Geliebt-werden-Wollen ist ein apriorischer Tatbestand im Herrschaftsbereich der Ontologie und diese eine Emanation des Staates.
    Das Christentum ist dem Liebessyndrom verfallen, als es die Prophetie vor dem Hintergrund des Theologumenons seiner Erfüllung im Christentum als erledigt und abgetan, wie in der vorchristlichen Vergangenheit, so auch heute nur für die Juden zuständig, definierte. Dieses Konstrukt gehört in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus. Der Antisemitismus war immer schon ein Rädchen im Exkulpationsmechanismus.
    Die logischen Strukturen, in die (Glaubens-)Bekenntnis und Sündenvergebung heute geraten sind, werden durchsichtig in der Reklame (die Adorno zufolge den Tod verschweigt).
    Der Fundamentalismus ist der Greuel am heiligen Ort: Er ist nicht mehr durch bloße Verurteilung zu bekämpfen, sondern allein durch Reflexion und Auflösung des Schuldzusamenhangs, zu dessen Konstituentien die Verurteilung und zu dessen Folgen der Fundamentalismus gehören.
    Die Schlange, die das klügste aller Tiere war, hat das Wissen erfunden. Welche Beziehung besteht zwischen der Schlange (dem saraph) und den Seraphim? Nicht die Seraphim, sondern die Cherubim mit dem „kreisenden Flammenschwert“ stehen vor dem Eingang des Paradieses.
    Wut ist ein unkeuscher Zorn. Die Empörung hat ihn zur kleinen Münze gemacht, für den täglichen Gebrauch (im Tratsch) umgeformt. Wessen Bild trägt diese Münze?
    In welcher Beziehung stehen die kantischen Antinomien der reinen Vernunft zur Logik des Beweises, was bedeuten sie für die Logik des Beweises? Im Zusammenhang des Rechts gibt es drei Beweisverfahren: den Zeugenbeweis (hierzu gehören das Martyrium und die Folter), den Indizienbeweis (ausgebildet in der Geschichte der Hexenvefolgung) und das Geständnis (das Judesein war einmal das absolute, vom Juden nicht mehr widerrufbare Geständnis). Als „sicherstes“ Verfahren gilt das Geständnis, in dem der Angeklagte die Schuld auf sich nimmt („gesteht“): Dieses Verfahren spricht den Richter frei, während der Zeugen- und der Indizienbeweis der Würdigung durch den Richter unterliegen, ihn in die Verantwortung mit hereinnehmen. – Im Recht führt das Bekenntnis der Schuld, die Übernahme der Verantwortung, nicht zur Befreiung, sondern zum Urteil und zu der als Strafe neutralisierten Rache; der Zeugenbeweis unterliegt dem Verdacht des falschen Zeugnisses, während der Indizienbeweis die Möglichkeit des Fehlurteils (der Täuschung oder des Irrtums) nicht ausschließt.
    Verweist nicht das Phänomen der Fälschungen in der Geschichte auf ein herrschaftsgeschichtliches Problem? Die Fälschung gehört ebenso zur Herrschaftsgeschichte wie Mord und Raub; sie gehört zur Herrschaftsgeschichte als Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der projektiven Erkenntnis: als Schatten des dem Erkenntnistriebs innewohnenden Exkulpationstriebs. Hegels List der Vernunft gehört in diesen Zusammenhang. Die Geschichte der Fälschung vollendet sich in der Vorstellung des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit: in der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (der Objekte der kantischen Antinomien).
    Das hängt zusammen mit der eigentumsbegründenden Kraft und Funktion des Staates, dem Nationalismus als Manifestation der Gewalt gegen die konkurrierenden Eigentumsansprüche anderer Nationen.
    Es wäre zu untersuchen, ob und wie die anwachsenden Einbruchs- und Diebstahlsphantasien in den Medien und in der Gesellschaft logisch mit der anwachsenden Xenophobie zusammenhängen.
    Sind nicht die Stämme und Völker, Sprachen und Nationen Denkmäler der Geschichte der Konstituierung der Raumvorstellung?

  • 25.11.1994

    Ist das Schweige-Gebot an den Dämon bei Mk (bei Belo S 6c) nicht ein Schweige-Gebot an die Theologen (vgl. auch Anm. 7 bei Belo)?
    Gestern (nach Teilnahme an einem Preisausschreiben) Einladung zu einem „Verkaufsgespräch“ bei der Holiday Marketing International, Neu-Isenburg:
    – Die Grenze zwischen Sektenwerbung und Verkaufsveranstaltungen wird immer undeutlicher:
    . Hinweis auf die Vertrauenswürdigkeit des Firmenchefs, der mit Foto auf einer Präsentationswand vorgestellt wird (die Qualität des Angebots, über das es verbindliche schriftliche Unterlagen nicht gibt, wird von ihm „persönlich garantiert“)
    . Fotos von „glücklichen Mitgliedern“ des „Clubs“ (Betonung der „Gemeinschaft“),
    . Demonstrativer Applaus bei der Neuaufnahme eines „Mitglieds“ (spätestens hier entsteht der Verdacht auf einen möglichen Zusammenhang mit Scientology, Moon-Sekte o.ä.; Assoziation an die Werbe-Methoden einer Drücker-Kolonne).
    – Bei der Präsentation (durch eine 22-jährige Frau) laute Hintergrund-Musik; feste Sitzordnung, auch für meine Frau und mich (mit Blickkontakt zwischen der Präsentierenden und einem Firmen-Team im Hintergrund, außerhalb unseres Blickfeldes).
    – Während der Präsentation zum Schein Fragen nach unseren (sehr dezidierten) Urslaubsvorstellung, mit denen das Angebot dann allerdings garnichts mehr zu tun hat.
    – Es ist offensichtlich taktlos, über den Preis zu reden. Die junge Frau war nicht ermächtigt, mit uns über den Preis zu reden. Das blieb einem (männlichen) Mitarbeiter des Teams vorbehalten, der aggressiv und unverschämt reagiert, als ich auf mein Interesse an einem Preis-Leistungs-Vergleich hinweise (ein Hinweis, daß HMI „nicht jeden“ aufnimmt, hat schon den Ton einer Drohung).
    – Erst am Ende (nach einer Präsentation, die eher wie einem Bekehrungsversuch gleicht, und bei der kein einziges Detail durch eine schriftliche Unterlage belegt wird) dann die Information über den (Fantasie-)Preis für ein Angebot, das mit dem mündlich vorgestellten Angebot nicht mehr viel zu tun hat (Nutzungsrecht für eine Woche im Jahr für ein Appartement an der spanischen Südküste, Nähe Malaga, zum Preis von DM 18.400,00, dazu DM 400,00 Bearbeitungs-/Notargebühr; zusätzliche Kosten für Instandhaltung, Reinigung etc. DM 416,00 im Jahr; bei Wahl eines anderen Urlaubsorts zusätzlich DM 180,00/Woche Verwaltungsgebühr). Bei sofortiger Entscheidung wird ein Rabatt von 20% (!) auf den Kaufpreis angeboten.
    – Zuvor (schon bei der telefonischen Einladung am 21.11.94) ein Lockangebot (in jedem Falle eine Woche freie Urlaubsunterkunft in einem ihrer Anlagen in Europa); hierzu werden im Falle eines Vertragsabschlusses noch die Reisekosten und Verpflegung angeboten.
    Ist die HMI so etwas wie ein UFO in der Touristikbranche? Die ganze Verkaufsveranstaltung schien unter der Voraussetzung zu laufen, daß alles nur mündlich erfolgte; war dabei bewußt, daß „mündliche Absprachen“ rechtlich unerheblich sind (die zivilrechtliche, aber auch die logische Kehrseite des Prinzips, wonach Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist)? Um einen Vergleich des Verkäufers zu variieren: Man kann mündlich einen SAAB vorstellen, aufgrund des Kaufvertrages aber einen Trabby liefern.
    Hat nicht jede Reklame etwas von einem Bekehrungsversuch; läuft nicht jede Reklame auf ein Glaubensbekenntnis hinaus (Persil bleibt Persil)? Und ist die Bekenntnislogik nicht die Logik der Reklame, die ebenfalls den Tod verschweigt? Gleichen nicht die Ängste kirchlicher Mitarbeiter den Ängsten in einem Unternehmen wie HMI? Symbolisieren nicht Sekten wie Scientology oder die Moon-Sekte die wahrhaft apokalyptische Identität von Religion und Reklame, die uns bevorsteht? (War nicht die Wertphilosophie Ausdruck des Einbruchs der Reklame in die Philosophie und die Fundamentalontologie die fundamentalistische Konsequenz daraus?)
    Wäre es nicht vielleicht doch sinnvoll und notwendig, die nach Zeitungsberichten vorgesehene Rechtschreibreform noch einmal zu überprüfen: Hat „behende“ (jetzt: behände) wirklich noch etwas mit der Hand zu tun, oder „gestreng“ (jetzt gesträng) etwas mit dem Strang? Werden hier nicht Sprachbeziehungen (wieder-)hergestellt, die die durch die Vokaländerung eingetretene Bedeutungsänderung (ein Stück objektiver Sprachentwicklung) bloß auslöschen? Stränge ist nicht das gleiche wie Strenge. Und war nicht schon der Übergang von Bureau zu Büro eine Sprachkatastrophe? Wie müßte man jetzt Niveau schreiben? Wäre es nicht an der Zeit, die ideologische Großschreibung der „Hauptwörter“ endlich abszuschaffen, eine Orthographieregelung, die über den Begriff des Substantivs die deutsche Grammatik verhext und zugleich die Selbstreflexion der Sprache blockiert, weil sie sie unter das Verdikt der deutschen Staatsmetaphysik stellt (während sie vielleicht eine der Ursachen der deutschen Xenophobie beseitigen würde)? Haben nicht die Großschreibung und das Substantiv das grammatische Geschlecht insgesamt neutralisiert und dieses (zusammen mit den subjektiven Formen der Anschauung) der Reflexion entzogen. Die Großschreibung ist der blinde Fleck der Grammatik und zugleich der Grund der Sexualisierung der Verhältnisse. Über die Großschreibung ist das Wertgesetz und die Bekenntnislogik (die Dornen und der steinige Grund in dem evangelischen Gleichnis vom Weizen), der Grund der Staatsmetaphysik, in die Sprache eingedrungen. Aber mit der Großschreibung wird der Markenartikel, ein essential jeder Reklame, überhaupt erst möglich. Ein Satz wie „Persil bleibt Persil“ wäre ohne die Großschreibung nicht denkbar.
    Zu Petrus, Jakobus und Johannes: In den geschichtsphilosophischen Konstruktionen seit Joachim von Fiore erscheint immer die Trias Petrus, Paulus und Johannes; der viel wichtigere Jakobus (der „judaistische“ Gegenspieler des Paulus) scheint vergessen zu sein; er wird ohnehin immer mit dem „Herrenbruder“ verwechselt. Nicht nur Petrus erhielt einen zweiten Namen, sondern auch die Brüder Jakobus und Johannes, denen Jesus den Namen Donnersöhne gab. War nicht Jakobus der erste Apostel, der zum Märtyrer (durch Herodes) geworden ist, während Paulus der Urheber des ersten Todes eines Zeugen Jesu (des Stephanus) war?
    War Paulus (der Geringste der Apostel) der Erfinder des Kleinglaubens (nach Hyam Maccoby der Erfinder des Christentums)?
    Ist nicht die „Natur des Menschen“ ein Zivilisationsprodukt: ein Produkt der Verinnerlichung des Opfers und eine Folge des Ursprungs des Weltbegriffs?
    Hat die Unterscheidung von sex und gender im Englischen mit der Unterscheidung von sky und heaven zu tun? Und gibt noch andere, vergleichbare Unterscheidungen, die dann alle auf die empiristische Struktur der englischen Sprachlogik (auf das to be) zurückzuführen sein müßten: auf die Unterscheidung der Objekte des Raumes und der Bekenntnislogik)?
    Ist nicht der Geheimbereich des Staates der Preis für die Trennung von Objekt und Begriff (Natur und Welt)? Im Geheimbereich muß der Staat den Gemeinheitsgrund seiner Praxis verstecken. Zur Absicherung dieses Bereichs bedarf es des Militärs, zu seinen Emanationen gehören die Knäste und Irrenanstalten.
    Das Possessivpronomen zur 2. Pers. pl. (ihr) ist „euer“, das zur 3. Pers. pl. und zur 2. Pers. f. sing. (sie) ist „ihr“.
    Im Griechischen und im Deutschen wird der bestimmte Artikel dekliniert, aber die Konstruktionselemente sind toto caelo unterschieden. Insbesondere die Beziehung der Artikel zu den Personalpronomina in Verbindung mit dem deiktischen „d“ (er: der, sie: die, es: das), die Einschränkung des besonderen Nominativs auf das Maskulinum und die Gleichheit des Femininum mit dem Plural finden sich nur im Deutschen. Steht nicht zwischen dem Griechischen und dem Deutschen die gesamte Geschichte der Mathematik, insbesondere die Ursprungsgeschichte des Inertialsystems (und damit die Konstituentien der Bekenntnislogik: das Feinddenken, das Verrätersyndrom und die Frauenfeindschaft)? Das Griechische war noch geschützt vorm Inertialsystem, es hatte noch kein Futurum II; das ist erst im Lateinischen, zusammen mit dem Prozeß der caesarischen Verinnerlichung des Opfers, die dann in die Grundlagen des Christentums mit eingegangen ist, entsprungen (hängt es hiermit zusammen, wenn die romanischen Sprachen kein Neutrum mehr kennen?).
    Die Logik der Schrift ist monologisch: diese Monologik greift im Inertialsystem auf die Optik über (Abstraktion vom Gegenblick). Die Hereinnahme des Blicks des Andern ins Denken und in die Erfahrung verfällt nur dann nicht der Magie (die insoweit auch in die Urgeschichte der Logik der Schrift hereinfällt), wenn sie die Fähigkeit zur Schuldreflexion (zur Reflexion der verinnerlichten Scham) in sich mit aufnimmt: Zusammenhang des Angesichts mit dem theologischen Begriff der Autonomie.
    Zu Kanthers Weigerung, im Falle der Kurden und der Jugoslawien-Flüchtlinge einen Abschiebestop zu erlassen:
    – Wenn er die Folgen, die das für die Betroffenen haben kann, nicht berücksichtigt sehen will, wodurch unterscheidet sich dann seine Entscheidung von den Brandanschlägen auf Ausländerwohnungen?
    – Und wenn er diese Entscheidung (für den „Asylkompromiß“) mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Wahrung des „inneren Friedens“ in diesem Land begründet, akzeptiert er dann nicht die Erpressung durch den Rechtsextremismus?

  • 22.11.1994

    Ist nicht schon die Magie ein Produkt einer Exkulpationsstrategie auf der Basis eines Schuldverschubsystems? Und rührt nicht das Wunder an diese gefährliche Grenze der Aufklärung?
    Ist das quantenmechanische Kausalitätsproblem nicht schon in allen Wellenerscheinungen enthalten? Würde die heute kanonisierte Interpretation der Quantenmechanik stimmen, wäre dann nicht jedes Musikwerk ein chaotisches Zufallsergebnis? Und wäre dann die kinetische Gastheorie die Widerlegung der Akustik? In allen Wellenbewegungen wird Energie transportiert („fortgepflanzt“). Die Fortpflanzung ist das Prinzip der Wellenbewegung.
    Zeugenschaft, Beweis (Logik der Schrift), Fälschung, Gemeinheit. Der stichhaltigste Beweis ist der schriftliche: das Dokument, die „Urkunde“ (der Kaufvertrag, das Symbolum). In welcher Beziehung steht die Logik der Schrift zur Blutzeugenschaft und die Schrift zum Blut?
    Waren die vorschriftlichen Gemeinschaftsformen (die Formen der Stammesgemeinschaft) Vorformen der Schrift, und die Magie der Beleg dafür? Gibt es für die Schrift (als Verkörperung der Logik der Schrift) ein kosmisches fundamentum in re? Sind Natur und Welt Produkte der Spiegelung von Himmel und Erde an der Logik der Schrift?
    Die Bemerkung von Emmanuel Levinas, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, schließt die Allmacht Gottes (nicht die omnipotentia) aus. Die Eigenschaften Gottes im Koran sind indikativisch; deshalb sind sie auf das All bezogen (allmächtig, allwissend, allbarmherzig: das sind Attribute der Islamisierung). Wo der Imperativ neutralisiert wird, bleibt nur die Ergebenheit in Gottes Willen, der zum Schicksal wird.
    Das fiat voluntas tua wird zum Feigenblatt, zum bloßen Lippenbekenntnis, wenn es den imperativischen Charakter verliert.
    Grenzen die Thesen Paul Formans nicht an Verschwörungstheorien, so als wäre die gesamte Kultur eine Verschwörung gegen die Naturwissenschaft. Aber steckt darin nicht ein Stück Wiederholungszwang; reproduziert sich darin nicht das vorausgegangene Verhältnis der Theologie zur Aufklärung (Ursprung der Apologetik)? Die Souveränität würde in der Fähigkeit (und Bereitschaft) bestehen, das argumentative Potential der Kritik aufzunehmen und zu reflektieren, anstatt aus der Kritik nur die Feindschaft herauszuhören. Aber diese Fähigkeit wurde ja bereits mit der Formalisierung der Mathematik und der Logik getilgt: Das erste Opfer der Formalisierung war nicht zufällig der Begründungszusammenhang, aus dem das Denken sich speist, der Bereich der hypothetischen Urteile.
    War vielleicht der Intuitionismus ein Versuch, in der Mathematik wieder die Begründung, die Logik der Argumentation, zu restituieren? Leider ein mißlungener und – wie es der Erfolg der Hilbertschen Formalisierung (Algebraisierung) der Mathematik beweist – „leicht“ zu entkräftender Versuch (weshalb war die Widerlegung so „leicht“ und wirksam?). Spielte hier nicht der Bruch zwischen Geometrie und Algebra mit herein; war die Algebraisierung nicht seit je das Medium der Selbstanwendung der Naturbeherrschung aufs Denken, seiner Technisierung? War nicht ein entscheidender Schritt die Diskussion des euklidischen Parallelenaxioms: Beginn der Formalisierung der Geometrie, der Konstruktion „nichteuklidischer“ Geometrien aus den Bruchstücken der euklidischen? Euklid war, wenn man so will, ein naiver Intuitionist: Das Medium seines Beweisverfahrens war die Anschauung (die Bildebene). Die „nichteuklidischen“ Geometrien verwerfen den Anschauungsbeweis, ersetzen ihn durch Definitionen und bringen dadurch ein dezisionistisches Element herein, daß nicht mehr herauszubringen ist: Dieser Dezisionismus (die Verwerfung der Anschauung) verwirft das Argument, die Logik der Begründung. Kehrseite dieses Verfahrens ist eine Logik, die aus einem Argument nur noch heraushört, wogegen oder wofür einer ist; jede inhaltliche Diskussion ist gegenstandslos geworden. Der Vorteil der Formalisierung liegt darin, daß mit dem letzten Anschauungsrest der letzte Rest an Subjektivität aus dem Denken ausgetrieben wird: Begründung eines Denkens, das (wie die Form der Anschauung) ohne Denken funktioniert. Ist hier nicht die Stelle, an der sich die Logik der Physik der Logik angleicht, die auch dem Gewaltmonopol des Staates zugrundeliegt? (War die Kritik des Intuitionismus nicht in seinem elitären Charakter real begründet?)
    Berührt sich dieser Problemkreis nicht mit dem der kantischen Antinomien, die Kant in der transzendentalen Ästhetik lokalisiert hat, während Hegel versucht hat, sie in die transzendentale Logik zu übertragen, die so zur dialektischen Logik geworden ist? Wiederholt sich diese Geschichte nicht in der Ursprungsgeschichte des Neopositivismus, im Übergang von Mach zum Wiener Kreis? Während Mach noch am Problem der Konstituierung des Objekts sich abarbeitete, hat der Wiener Kreis vor der Übermacht des Objekts kapituliert, die Aggression nach innen, gegen die Sprache und das Denken selbst gerichtet. Das läßt sich an der Linguistik, die daraus sich herleitet, noch ablesen.
    Es fällt in diese Geschichte herein, wenn mit der Verwerfung des Problems der Empfindungen in der Physik die Orientierung an der sinnlichen Organisation der Erfahrung (in Mechanik, Optik, Akustik) ersetzt wird durch die Orientierung an anderen (teils systematischen, teils methodischen) Kriterien (Mechanik, Elektrodynamik, Statistik, Quantenmechanik, Festkörperphysik u.ä.).
    Läßt sich diese Entwicklung nicht aus der Unfähigkeit, die Schuldreflektion in den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß mit aufzunehmen, herleiten? Und hängt das nicht damit zusammen, daß in einer Welt, in der es Unschuld nicht mehr gibt, die Verstrickung in Rechtfertigungszwänge nur tiefer in die Verstrickungen der Logik der Schuld hineinführen?
    Haben nicht alle ökonomischen Kategorien (wie Ware, Zirkulation, Monopol, Kredit, aber auch die Beziehung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bis hin zum Begriff des Imperialismus) ihre Entsprechungen in der Logik der Naturwissenschaften?
    Die Kausalitätsdiskussion in der Quantenmechanik war ein Teil (und eine Folge) der Kriegsschulddiskussion, ein Versuch, nicht den Kriegsschuldvorwurf zu entkräften oder zu widerlegen, sondern ihn dadurch gegenstandslos zu machen, daß man ihm den logischen Grund entzog: Der Kriegsschuldvorwurf gehört zu den Dingen, zu denen Wittgenstein festgestellt hat, „davon muß man schweigen“. In einer Welt, die „alles (ist), was der Fall ist“, ist Schuld ein gegenstandsloser (weil den Weltbegriff fundierender) Begriff.
    Die Kriegsschulddiskussion hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf neuer Ebene in der Kollektivschulddiskussion wiederholt. Steht nicht die Heussche Lösung (Kollektivscham) in einer inhaltlichen Beziehung zur Ideologie der Quantenmechanik?
    War nicht die Kollektivscham die Schiene, auf der der faschistische Modernisierungschub weiterbefördert werden konnte (vgl. das Bild von der Lokomotive, die auf den Abgrund zurast)? Die Anerkennung der Kollektivschuld wäre die Bremse gewesen: Zur Scham gehört nur die Buße, während zur Schuld die Umkehr gehört. Über die Scham erneuert sich nur das schlau gewordene autoritäre Syndrom: zur Scham gehört einer, „vor dem“ man sich schämt. Mit der Kollektivscham wurde der Blick der Welt ins Innere installiert, und damit die Xenophobie.
    Die Frage, ob es Gott gibt, ist untheologisch; das „es gibt“ ist auf die Theologie nicht anwendbar.
    Ist nicht der Blochsche Satz „nur die Bösen bestehen durch ihren Gott, während die Guten: da besteht Gott durch sie“, eine Explikation des Cohenschen Satzes, daß die Attribute Gottes keine Attribute des Seins, sondern Attribute des Handelns sind? Und rührt nicht der Geist der Utopie stellenweise tatsächlich an den imperativischen Gehalt der Attribute Gottes? Und gilt nicht der Satz von der Sünde wider den Heiligen Geist für diesen Sachverhalt? Hat die kritische Theorie (ihr „Negativismus“) nicht hierin ihre gemeinsame Wurzeln mit dem Aktualitätsbezug der Prophetie: im Zeitkern der Wahrheit, den die Philosophie durch das tode ti neutralisiert (unter Narkose gesetzt) hat? Erst das tode ti, als der Grund der Trennung von Sprache und Objekt, hat den Raum für den Ursprung und die Geschichte von Philosophie und Wissenschaft geschaffen.

  • 7.11.1994

    Der Satz aus der DdA, daß die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, wäre zu ergänzen: Die Distanz zum Objekt (die Urteilsform, die Trennung des Natur- und Weltbegriffs) ist ebensosehr vermittelt durch die Distanz, die mit den Außenbeziehungen der Staaten sich konstituiert. Der Staat als Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern entspringt erst im Verhältnis zu und in der Natur-Gemeinschaft mit anderen Staaten. Es ist deshalb nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, daß die Bibel die Trennung von Welt und Natur nicht kennt, daß im Namen der Hebräer auch der Begriff der Barbaren (der Fremden) reflexionsfähig gehalten wird, daß mit einem Wort jedes nationalistische Verständnis des hebräischen Gottesnamens und der Geschichte Israels sich vom Ansatz her verbietet.
    Hegels Begriff des Absoluten ist eine Folge seiner Einbeziehung der Ästhetik in die Logik. Nur so war es ihm möglich, die Idee des Absoluten vom Staat zu trennen (durch die Logik der Schrift das hic et nunc des realen Staates in der Idee des Absoluten „aufzuheben“). Die Natur, die die Idee Hegel zufolge „frei aus sich entläßt“, ist eigentlich die dem eigenen Staat äußerliche Staatenwelt, in deren Struktur das reine Naturverhältnis sich wiederherstellt: als Krieg. Der Begriff ist die Form des einzelnen Staates, der sich selbst, kraft seiner eigenen Logik, zum Absoluten wird: In dieser Logik ist die Xenophobie (und deren teleologische Urform: der Antisemitismus) vorgezeichnet; das gegenständliche Korrelat dieser Xenophobie ist die Natur im Lichte des naturwissenschaftlichen Herrschaftsdenkens. Alle Natur, auch die erste, ist zweite Natur. Natur ist der Bann, unter dem Natur steht.
    Das Inertialsystem ist Produkt und Ausdruck des Gewaltmonopol des Staates (die Astrologie war ein erster Versuch der Rekonstruktion der Struktur der staatlichen Gewalt und seiner Naturbasis).

  • 30.6.1994

    Durch ihr Verhältnis zur Philosophie war die christliche Theologie in die Geschichte des Weltbegriffs und in die Herrschaftsgeschichte verstrickt. Das Tabu auf der Herrschaftskritik (die Verteufelung der Herrschaftskritik), das mit dem Weltbegriff mitgesetzt war, hat zur Verdinglichung (Privatisierung und Biologisierung) der Sexualmoral geführt: es hat die Erinnerung an die messianischen Wehen verdrängt. Die Vergangenheit ist (ebenso wie die Physik) nicht wirklich stillgestellt und tot; stillgestellt und tot ist unser Blick auf die Vergangenheit (und auf die Natur). Die Logik dieser Stillstellung ist die Logik des Weltbegriffs (ihre Akteure sind die Urteilsform, die Bekenntnislogik und die Opfertheologie, das Inertialsystem). Der gordische Knoten: Ist nicht der Objektbegriff die Folge davon, daß er nur durchschlagen, nicht gelöst wurde? Durchschlagen hat den Knoten die Philosophie; Aufgabe der Theologie heute wäre es, ihn endlich zu lösen. Ein Hinweis dazu: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. Oder: Verfallt nicht der Paranoia, zu der die Klugheit der Schlange verführt. Die Paranoia ist der Grund des Mythos: der Schicksalsidee wie auch des Begriffs. Die erste Aufklärung (der Ursprung der Philosophie) verdankt sich der Verinnerlichung des Schicksals: die Allgemeinheit des Begriffs gründet darin, daß hier jeder zur Quelle des Schicksals aller geworden ist. Die zweite Gestalt der Aufklärung, die aus der Theologie hervorgegangen ist, verdankt sich der Verinnerlichung der Scham. Hier gründet die veränderte Beziehung zur Vergangenheit, in der sie durch Entfernung nahe gerückt wird (und aufs neue in Bewegung gesetzt wird). Die Vergangenheit ist nicht das ruhende Tote, sondern der bacchantische Taumel, der Hexentanz der letzten Walpurgisnacht. Die Einheit von Teufel und armer Seele gründet in der Verinnerlichung der Scham, während der Name des Dämons, des unreinen Geistes, der Besessenheit, zurückweit auf die Verinnerlichung des Schicksals (den Ursprung des Weltbegriffs). Steckt nicht in der Beziehung des einen zu den sieben unreinen Geistern die Beziehung der Verinnerlichung des Schicksals zu der der Scham (der Philosophie zum Ursprung der modernen Naturwissenschaft)? Durch die Kollektivscham (die eher auf den „verlorenen Krieg“ paßt als auf das ungeheuerliche Verbrechen des Judenmords) ist Deutschland zum Objekt der Welt geworden (Ursprung der Xenophobie: die Angst vor dem Blick des andern). Liegen die sexuellen Phantasien im Kontext des Pflichtzölibats nicht in der Konsequenz der Schamlogik (der Unfähigkeit zur Reflexion ihres herrschaftsgeschichtlichen Grundes)? Wenn bei Hegel die Idee die Natur frei aus sich entläßt, diese Natur dann aber den Begriff nicht halten kann: ist das nicht das genaueste Bild der Katastrophe (und die Widerlegung der Idee und des Absoluten, die sie freilich nicht gegenstandslos macht)? Die homousia hat das homologein entmächtigt: zum Bekenntnis neutralisiert (wie heißen das Bekenntnis und der Bekenner, die Confessio und der Confessor, auf griechisch?). Ist nicht die Confessio das vergeistigte Martyrium (Produkt der Vergeistigung des Leidens im „Opfer“)? Steckt darin nicht der Schlüssel der ganzen Geschichte: im sprachlichen Übergang von der hyle zur materia, von der physis zur natura, vom kosmos zum mundus? Hat hier nicht eine ungeheure sprachlogische Verschiebung stattgefunden (die gleiche Verschiebung die auch der tertullianischen Begründung der lateinischen Fassung der Trinitätslehre zugrunde liegt, wenn er dem hypokeimenon den lateinischen Namen des prosopon beilegt)? In der tertullianischen Übersetzung berühren sich die Logik der Tragödie und die des Kosmos; war dieser Konnex nicht überhaupt erst innerhalb des Christentums möglich? Hier wurde der Kosmos in den hochdramatischen Geschichtsprozeß mit einbezogen. Die Geschichte von den drei Leugnungen sprengt den Autoritätsbann der Kirche, ohne die Kirche selbst zu verwerfen. Sie begründet im Symbol des Hahns ein neues Selbstbewußtsein, sie gibt dem Heiligen Geist Raum. Wer die Schrift insgesamt als Prophetie liest, verändert (berichtigt) damit nicht nur den Sinn der Schrift, sondern auch den der Prophetie. Wenn die Idee des Absoluten der Schatten ist, den das Subjekt auf Gott wirft, berührt sich das nicht mit jener Auslegung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, wonach niemand über seinen eigenen Schatten springen kann? Ist nicht das Verhältnis von Schuldknechtschaft (Lohnarbeit), Tauschprinzip und Privateigentum ein Reflex der Orthogonalität des Raumes und ebenso das Verhältnis von Opfertheologie, Bekenntnislogik und Dogma? Alle drei, das Tauschprinzip, die Form des Raumes und die Bekenntnislogik, sind dem selbst auferlegten Zwang der Instrumentalisierung unterworfen (sie gehören zu den Konnotationen der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“). Ist nicht die Mathematik (das Inertialsystem) die Finsternis über dem Abgrund? Hat nicht im Konflikt zwischen Peter Eicher und seiner Tochter diese „den besseren Teil erwählt“? Die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels: Sind nicht die Vögel akustische Blumen? Und ist nicht das Naturschöne Ausdruck von Wiederholungszwängen: Ausdruck des Seufzens und Harrens der Kreatur? Der Gehorsam ist ein Produkt der Verräumlichung des Hörens und die Sexualmoral ein Produkt der Verdinglichung der Keuschheit (die Zwischenstufe beider war die Logik der Schrift); beide sind Teil einer Beziehung von Theorie und Praxis, die im Verhältnis von Naturwissenschaft und Technik sich erfüllt (und Freiheit nicht kennt). Theologie im Angesicht Gottes erfüllt sich in einer Theologie von Angesicht zu Angesicht (als Reflexion der Scham, nicht als Unterwerfung unter ihr Gesetz: wie im Islam): Sie setzt die Freiheit der Kinder Gottes voraus.

  • 5.6.1994

    Die Lichtgeschwindigkeit ist als Grenze zugleich ein Moment der Beziehungen zwischen thermischen und optischen Erscheinungen. Und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist der Grund der Existenz des Planckschen Wirkungsquantums (und der elektrischen Elementarladung).
    Hängt der Rock aus Fellen mit dem Bogen in den Wolken zusammen (und das Feigenblatt mit der Sintflut)? Ist die Farbe ein Schamprodukt (aufgrund ihrer Beziehung zum Licht)?
    Die Bewußtlosigkeit unserer Theologie ist der Grund ihrer Selbstzerstörung.
    Das Über-Ich ist der Schatten, den das Ich auf das Gewissen wirft. Dagegen richtet sich das vierte Gebot.
    Bezieht sich die Frage der Frauen, als sie zum Grabe gingen: „Wer wird uns den Stein wegräumen?“, auf Petrus?
    Stecken nicht in dem „leer, gereinigt und geschmückt“ die drei Leugnungen? Und kann man nicht die drei Adjektive ersetzen durch Universum, mundus und kosmos?
    In den modernen europäischen Sprachen haben sich die Suffixe, die Grundlage der Konjugationen, zu selbständigen Personalpronomina und Hilfsverben gegen die Verben verselbständigt; zugleich hat sich die sprachliche Gestaltung der Verben verändert, während die Nomen zu Substantiven geworden sind: So hat sich das Ding von der Sache getrennt.
    Im griechischen „einai“ wurde das Infinitiv-Suffix zum Sein verselbständigt. Definieren nicht die Infinitivbildungen des Hilfsverbs Sein (der Kopula des Urteils) des Status der Verben in den Sprachen? Das gilt fürs deutsche Sein ebenso wie fürs englische to be (verbale Hypostasierung eines für die Organisation der Sprache zentralen Präfixes: des be-; Zusammenhang mit der den Empirismus fundierenden Logik der englischen Sprache).
    Nichts gefährlicher, als wenn einer, der in der christlichen Tradition aufgewachsen ist, die Bibel aus dem Gedächtnis zitiert (sh. Theodor Haecker und Johann Baptist Metz).
    Hat Theodor Heuß, ohne es zu wissen, mit dem Begriff der Kollektivscham nicht den parvus error in principio getroffen? Ist diese Kollektivscham nicht der Kern eines Weltbegriffs, der den Anblick aller durch alle fixiert und dem keiner mehr entrinnt; ist sie nicht eine Konsequenz aus der falschen Übersetzung von Joh 129? Seitdem sind die Deutschen auf den Blick und das Urteil „des Auslands“ fixiert, und seitdem verweisen sie zur Selbstentlastung immer wieder darauf, daß sie (die andern Länder) ja auch nicht besser sind.
    Ist nicht die Geschichte mit den sieben unreinen Geistern ein Hinweis darauf, daß wer nach der absoluten Untat sich (wie die andern) endlich einmal auch unschuldig fühlen möchte (wie unter anderem auch in der Ökologie-, der Friedensbewegung u.ä.), Gefahr läuft, Opfer noch ärgerer Dinge zu werden? Die Frage ist nicht mehr, wie bleibe ich unschuldig, sondern: wie kann ich produktiv und ohne Selbsttäuschung mit dieser Schuld umgehen? Der Unschuldstrieb endet im Geschwätz und in der projektiven Verarbeitung der Wirklichkeit.
    Analyse der politischen Farben: Es gibt die Schwarzen, die Roten, die Gelb-Blauen und die Grünen.
    Die Hegelsche Logik ist die konsequenteste Selbstexplikation des durchschlagenen Knotens (des gordischen Knotens, nachdem der Aristotelesschüler Alexander ihn durchschlagen hat). Das Schwert, mit dem dieser Knoten durchschlagen wurde, war das kreisende Flammenschwert des Cherubs vorm Eingang des Paradieses.
    Zur Sintflut und zur Arche gehört die doppelte Version der Rettung der Tiere: einmal (so Elohim) sollte von allen Tieren je ein Paar mit in die Arche genommen werden (Gen 619), dann aber (so JHWH) von allen reinen Tieren je sieben, Männchen und Weibchen, von den unreinen Tieren je ein Paar, Männchen und Weibchen, auch von den Vögeln des Himmels je sieben, Männchen und Weibchen (72f). Vgl. hierzu die Bindung Isaaks (Aufforderung zum Sohnesopfer durch Elohim, der Engel JHWHs hält Abraham dann zurück).
    Antisemitismus, Xenophobie und Frauenfeindschaft sind die Fundamente der Bekenntnislogik. Was für die Griechen die Barbaren waren, das waren für die Christen die Heiden und die Ketzer (wobei der Islam beides in sich vereinigte, auch wenn der Aquinate sie unter den gentes, den Heiden, subsumierte: Folge der Rezeption des häretischen Elements in der Islamisierung des Christentums, die dann die Ursache für das Ende der häresienbildenden Kräfte im Christentum war).
    Gibt es nicht ein Systemprinzip, aus dem
    – die Häresien (ihre Abfolge seit der Gnosis) sich ableiten lassen, oder auch
    – die Momente des antisemitischen Vorurteils (vom Ritualmord, über den Hostienfrevel und die Brunnenvergiftung, bis hin zur zionistischen Weltverschwörung).
    Im Zentrum müßte das projektive Moment und das Schuldverschubsystem (im Kontext der Rezeption der Philosophie, des Ursprungs des Weltbegriffs) stehen.
    Das Systemprinzip der Frauenfeindschaft scheint dagegen auf einer anderen Ebene zu liegen: Während Antisemitismus und Fremdenfeindschaft in der Logik des Weltbegriffs liegen, liegt die Frauenfeindschaft dieser Logik zugrunde. Zusammenhang mit dem Kelchsymbol (und seinen Konnotationen)?
    Merkwürdige Affinität der Worte Welt und Kelch: Ersetzung der gutturalen Konsonanten durch labial-dentale.
    Neben den Etymologien gibt es auch Etymogeleinen. Dazu gehören die „Ableitungen“ von: Sein, Würde, Wasser, Sinn, to be. Und wie ist das eigentlich mit der Heiterkeit und dem Ungetüm? Haben diese Etymogeleien etwas mit dem zweischneidigen Schwert zu tun?
    Die Hegelsche Logik wird zur dialektischen Logik durch die Entfaltung der Differenz von Ding und Sache. (Welches griechische Äquivalent gibt es zur lateinischen res? Hat das pragma die gleiche Bedeutung wie die lateinische res?) Der Dingbegriff ist in sich selber theologisch vermittelt; er hat sich aus der Rezeption der Philosophie (der Logik des Weltbegriffs) in der Theologie (bzw. der Weiterbildung und Umgestaltung der Philosophie durch die Theologie, durch Opfertheologie und Bekenntnislogik) ergeben. Insbesondere verdankt sich die Rezeption der Philosophie im Römischen Reich, die Übersetzung der griechischen Kategorien der Metaphysik ins Lateinische durch Tertullian, dem Bedürfnis der Übersetzung der Trinitätslehre.
    Voraussetzung für die Entfaltung der Dialektik von Ding uns Sache war die kantische transzendentale Logik, die Hereinnahme des Objekts in die Urteilsform im Kontext der Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung.
    Frage: An welchem Ort ist das Vergangene:
    – In der Unterwelt,
    – in Himmel, Hölle und Fegfeuer,
    – in den Bibliotheken oder
    – in unserm Kopf?
    Aber tun wir nicht alles, das Vergangene zum endgültig Vergangen zu machen (um dem Schuldzusammenhang und der Last der Erinnerung zu entrinnen, zur Absicherung des Inertialsystems und der Naturbeherrschung, zur Konstituierung einer Welt, die nur noch als Reflex des Prinzips der Selbsterhaltung sich manifestiert): Wir halten uns unsere Vergangenheit wie exotische Tiere im Zoo, wie Kunstwerke im Museum, als Mittel der Unterhaltung im abendlichen Fernsehprogramm. Domestiziert im historischen Objektivationsprozeß, zugerichtet zum Objekt des bloßen Zuschauens, der folgenlosen Neugier, neutralisiert zum Panoptikum, fremd und banal wie die Sternenwelt (zu den Folgen der Logik der Schrift gehörte einmal die gemeinsame Entdeckung der Astronomie und der Geschichte).
    Berichtigung: Das Absolute ist der Schatten, den das Subjekt auf den Namen Gottes wirft (nicht auf Gott, der jenseits aller Schatten ist).

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