Die Sünde gehört der Ordnung des Handelns an, die Schuld der des Urteils. Jedes Urteil aber kommt post festum. Ist nicht der Begriff eines Urteils apriori eine contradicition in adjecto, nur zu begründen in einer Ordnung, in der auch die Zukunft als vergangene angesehen werden kann: in einer Sprache, in der es das Futur II gibt, und im Inertialsystem, dem die gegenständliche Welt durchdringenden Formgesetz des Futur II. Zu vermeiden ist die Sünde, nicht die Schuld, die den Täter, wenn er sie nicht zu reflektieren vermag, schicksalhaft trifft. Ziel ist eine Ordnung der Gerechtigkeit, nicht die Rechtfertigung der Sünder. Die Unfähigkeit, sich in einen andern hineinzuversetzen, gründet in der Logik der Instrumentalisierung, zu der es auf der Grundlage der „subjektiven Formen der Anschauung“ keine Alternative gibt. Die Fassung des kategorischen Imperativs, derzufolge Menschen niemals nur als Mittel, sondern immer zugleich auch als Zweck zu behandeln sind, hat die Antinomien der reinen Vernunft zur Voraussetzung. Hat Hegel in seiner Kritik der Antinomien nicht dem Weltgericht das letzte Wort gegeben und der Barmherzigkeit den letzten Zugang verstellt? Die Kritik des Weltbegriffs ist das theoretische Äquivalent der Heiligung des Gottesnamens.
Kant
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4.12.95
Ursprung und Geschichte der modernen Wissenschaft setzen, von der Theologie bis zu den Naturwissenschaften, von der Kirche bis zum Nationalismus, vom Kloster bis zu den Burschenschaften, den Zwang zur kollektiven Absicherung des Wissens voraus.
Der deutsche Idealismus ist der Verführung durch den Begriff des Wissens erlegen.
Jedes Recht hat Anteil am Weltgericht; und für jedes Rechtsurteil gibt es die begründete Hoffnung auf Revision durchs Jüngste Gericht.
In der Verurteilung des Verbrechers sind sich alle einig. Gründet nicht die Bekenntnislogik im Geiste des Rechts? Der Ursprung des Rechts aber war die Vergesellschaftung der Blutrache durch den Staat; diese Blutrache kehrt im Kontext der Bekenntnislogik als Opfertheologie wieder. Nur so erklärt sich die starke affektive Besetzung des Kruzifix, das nicht zufällig insbesondere in Gerichtsälen und in Schulräumen, im privaten Bereich aber vor allem in den ehelichen Schlafzimmern, seinen Platz gefunden hat.
Die Tiere der Apokalypse sind Teile einer außerordentlich dramatischen Entwicklung und Konstellation: Nachdem der Drache vom Himmel auf die Erde geworfen wurde, kommen das Tier aus dem Meere (mit zehn Hörnern und sieben Köpfen, während der Drache sieben Hörner und zehn Köpfe hatte: dieses Tier hat vom Drachen seine Macht) und das Tier vom Lande, der Lügenprophet (der zwei Hörner hat wie ein Widder und redet wie der Drache).
Ist die Venus-Katastrophe ein Bild jener gesellschaftlichen Naturkatastrophe, in der die Sexualmoral entsprungen ist?
Liegt nicht das Problem der mikrophysikalische wie auch der astronomischen Theorien heute in einer redundanten Beweisführung, gleichsam in einer verhedderten Logik? Im Urknall wird das gleiche Inertialsystem, das mit ihm entstehen soll, schon vorausgesetzt: Sonst würde es die physikalischen Gesetze, die die dramatischen Prozesse beherrschen, nicht geben. Das Kaninchen war schon in dem Hut, aus dem die Erfinder des Urknalls es herauszaubern zu können glauben. Wird beim Urknall von den Ursachen abstrahiert, so bei den Schwarzen Löchern von den Wirkungen: Was in den Schwarzen Löchern passiert, bleibt unreflektiert.
Der Name des Geheimnisses bezeichnet heute nur noch das Tabu, mit dessen Hilfe die Aufdeckung einer Untat verhindert werden soll. Gründet nicht auch das Christentum in einem Verbrechen, als es als Kirche – mit der Rationalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie – auf die Seite der Täter sich gestellt hat?
Gleicht nicht die Beziehung des Dogmas zur Wahrheit der der Bekehrung zur Umkehr? Gibt es nicht heute soviel Religion, weil alle für alle anderen die Religion für nützlich halten? Die Bekehrung war immer schon die Umkehr für andere.
Ist nicht der Begriff die Kreuzigung des Namens? So fundiert die Opfertheologie den wissenschaftlichen Erkenntnisbegriff als einen vergesellschafteten Erkenntnisbegriff. Die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind der Statthalter der Gesellschaft im Subjekt.
Ist nicht das tohuwabohu der früheste Hinweis auf die Urteilslogik, auf Ursprung und die Trennung der Begriffe Natur und Welt? Und beschreibt das tohuwabohu nicht den Ursprung der „Finsternis über dem Abgrund“? -
1.12.95
Brief an Ton Veerkamp:
Zum apokalyptischen Symbol des Tieres (das im moralischen Gebrauch dieses Symbols, in seiner Anwendung auf den Trieb, die Sexualität, gleichsam halbiert wird) ist darauf hinzuweisen, daß es nicht im Gegensatz zur selbsterhaltenden Vernunft, sondern als die apokalyptische Gestalt ihrer kollektiven Verkörperungen zu begreifen wäre: als Verkörperung einer Gestalt der Vernunft, die durch Einschränkung aufs Selbsterhaltungsprinzip sich selbst ihrer erkennenden Kraft beraubt. Der Repräsentant der Selbsterhaltung im Erkenntnisprozeß ist die intentio recta: der Positivismus (Zusammenhang mit dem Weltbegriff; Wittgenstein; Hegels Logik; Kants Definition von Natur und Welt; die Urteilslogik und die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik; Sprachphilosophie und Theologie des Falls). -
29.11.95
Die BILD-Zeitung erzeugt selber die Sucht, die sie befriedigt. Ist sie nicht auch ein Organ der Linguistik: Instrument der Reduzierung der Sprache auf Sätze (ohne Komma und Semikolon)?
In der FR heute ein Hinweis auf einen Bericht der BILD-Zeitung, wonach die deutschen Männer immer dicker werden. BILD empfiehlt fettarmes Essen. Ist das nicht ein exemplarischer Fall von Schuldverschiebung? Müßte der Rat nicht lauten: Aufhören, BILD zu lesen?
Die 68er Bewegung war nicht das Erwachen aus einem Alptraum, sie war der Traum dieses Erwachens im Alptraum. Das erinnert mich an die Mitschüler in der Nazizeit, die damals HJ-Führer waren, die nach dem Krieg (nach einem Gesinnungswechsel, der sie der Last der Erinnerung enthob) ihren Führungstraum in ihren beruflichen Karrieren ungebrochen haben fortsetzen können. Die 68er nannten diesen Führungstraum ihren „Marsch durch die Institutionen“ (in dem allerdings nicht sie, sondern die Institutionen den Sieg davon getragen haben).
In dem Maße, in dem wir die Vergangenheit verdrängen, sie für überwunden halten, gewinnt sie Macht über uns. Das ist eine der Bedeutungen des Satzes „Richtet nicht …“.
Was ist der Unterschied zwischen pragma, res und Ding? Läßt nicht anhand dieser Begriffe die herrschaftsgeschichtliche Verstrickung der griechischen, lateinischen und deutschen Fassung der christlichen Tradition sich demonstrieren?
Wer Gemeinheit glaubt mit Empörung beantworten zu können, ist schon in der Gemeinheitsfalle gefangen. Aus dieser Falle gibt es keinen Ausweg.
Der Nominalismus hat, indem er das Ungleichnamige gleichnamig gemacht hat, die Sprache in ihrem Grund und ihrer Wurzel vergiftet. Er hat die Gemeinheit absolut und das Absolute gemein gemacht.
Erst das indogermanische Perfekt hat die Vergangenheit aus einem Geschehen in einen Zustand verwandelt (durch ihre Objektivation die Natur zur Natur und die Geschichte zur Geschichte gemacht).
Der Faschismus war die erste Form der Privatisierung des Staates (der Barock als die Epoche der Privatisierung der Herrschaft war sein Vorläufer).
Ist nicht die Theorie der Schwarzen Löcher eine Weiterbildung, Radikalisierung und Widerlegung der Kant-Laplaceschen Theorie?
In welcher Beziehung stehen die Schwarzen Löcher zum Urknall? Verhalten sie sich nicht invers zueinander? Sie unterscheiden sich durch ihre Beziehung zur Zeit: Während der Urknall in einer kurzen, explosiven Bewegung abläuft, bezeichnet das Schwarze Loch einen Dauerprozeß. Die Frage, was vor dem Urknall war, ist ebenso sinnlos wie die, was im Innern des Schwarzen Lochs sich abspielt. Wie verhalten sich Urknall und Schwarzes Loch zur Entropie?
Schöpfung und Weltuntergang: Sind nicht die Banken für die Wirtschaft (als Kreditgeber) der Urknall, für die Länder der Dritten Welt (als Gläubiger) das Schwarze Loch?
Der Urknall ist kein Anfang, er setzt das, was er hervorbringt, schon voraus, während das Schwarze Loch nur soweit besteht, wie es seine eigenen Voraussetzungen aufzehrt. -
26.11.95
Gegen Derrida: Der Benjaminsche Text bietet keinen realen Anlaß, im Begriff der „göttlichen Gewalt“ die Endlösung, den Holocaust, Auschwitz wiederzuerkennen. Diese Assoziation wird im Gegenteil durch eine genaue Lektüre des Textes definitiv ausgeschlossen. Was die Beziehung herstellt, ist ein Verfahren, zu dessen Kritik Levinas das durchschlagende Stichwort gegeben hat, als er bemerkte, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Die Kontamination der göttlichen mit der mythischen Gewalt, die der Derridaschen Assoziation die Basis liefert, ist das Werk Derridas, nicht Benjamins (in dessen Text er sein Verfahren dann hineinprojiziert), wenn er explizit theologische Texte Benjamins, die der Levinasschen Forderung genügen, zurückübersetzt in den Indikativ (das gleiche Verfahren gehört übrigens zur christlichen Begründung und Ausgestaltung des Dogmas, der Orthodoxie, und markiert deren Differenz zur Wahrheit).
Hilfreich zum Verständnis ist die Benjaminsche Unterscheidung von Ausdruck und Mitteilung. Wenn man sie auf die Derridasche Interpretation des Benjaminschen Textes anwendet, wird man schnell gewahr, daß mit der Übersetzung in den Indikativ das, was bei Benjamin sich ausdrückt, in eine Mitteilung umgeformt wird. Diese Umformung ist eine der Instrumentalisierung, die Rückübersetzung der Offenbarung in den Mythos (eine Übersetzung, die der Weltbegriff gleichsam automatisch leistet: der Weltbegriff ist der Inbegriff der transzendentalen Logik der Instrumentalisierung der Wahrheit und selber das Instrument der Zerstörung des Namens).
Wenn Derrida dem Benjaminschen Text hätte gerecht werden wollen, hätte er zumindest auf die zentrale Rolle des Satzes „Du sollst nicht töten“ in diesem Text eingehen müssen sowie darauf, daß die Idee der göttlichen Gewalt deren Instrumentalisierung schon im Ansatz ausschließt. „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, und die einzig legitime Konsequenz aus der Idee der göttlichen Gewalt wäre es gewesen, sie auf die Täter des Holocausts, in keinem Falle aber auf ihre Tat zu beziehen. Zu den letzten Manifestationen des katholischen Volksglaubens in Deutschland, bevor er endgültig ins Blasphemische sich aufgelöst hat, gehörte unmittelbar nach dem Krieg die Angst: Das wird sich einmal rächen.
Wenn Auschwitz eine theologische Bedeutung hat, dann die, daß es der Instrumentalisierung des Kreuzestodes Jesu, und damit der Opfertheologie, der Bekenntnislogik, dem Dogma und der verdinglichten Orthodoxie (der Konfundierung der Theologie mit dem Weltbegriff), endgültig den Boden entzogen hat.
Die Benjaminsche Unterscheidung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt rührt an den Grund der Unterscheidung von Natur und Welt, die als Totalitätsbegriffe im Erkenntnisprozeß genau diese Funktionen: die Bindung der Erkenntnis ans Urteil, abdecken. (Die Geschichte der Naturerkenntnis ist die ins Innere transformierte Fortsetzung der heroischen Gründungsgeschichte des Staates und der Zivilisation, und der Naturbegriff selber das Korrelat und die Stütze des Gewaltmonopols des Staates.)
Die Polizei ist das Paradigma des Hoheitlichen (der Repräsentation der staatlichen Gewalt). Sie gehört zur staatlichen Verwaltung wie das Militär zur Nationalökonomie. Stammt nicht der Name der Polizei aus den Anfängen der Verwaltungswissenschaft?
Rührt nicht Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts an den Grund des Prinzips, demzufolge Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist? Die Aufnahme der Gemeinheit in den Kanon strafrechtlicher Tatbestande hätte die Selbstauflösung des Rechts zur Folge. Genau hier wird deutlich, weshalb der Benjaminsche Begriff der göttlichen Gewalt niemals auf die Endlösung Anwendung finden kann. Auschwitz hat das Recht durch Reduktion auf ihren Gemeinheitskern (auf den Kern der rechtsbegründenden und -erhaltenden mythischen Gewalt) zerstört, der Begriff der göttlichen Gewalt hingegen zielt auf die Auflösung des Rechts durch Zerstörung seines Gemeinheitskerns. (Das Jüngste Gericht ist der Widerpart des Hegelschen Weltgerichts: das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.)
Aus dem gleichen Grunde wäre abzuleiten, daß der Antisemitismus niemals als Anwendungsfall des Rassismus oder des Vorurteils sich begreifen läßt, sondern nur als deren Wurzel.
Das Obszöne an den raf-Prozessen ist der offene Gebrauch, den Gericht und Bundesanwaltschaft vom Gewaltmonopol des Staates machen. In der Konsequenz dieses Verfahrens liegt es, daß die Angeklagte nur noch als Feind wahrgenommen wird. (Die Verteidung wird im Lichte des Grundsatzes wahrgenommen: Wer sich verteidigt, klagt sich an.) Hier gibts nicht nur keine „Waffengleichheit“ mehr, sondern hier geht die Vorverurteilung soweit, daß Verteidung und Besucher apriori zur Sympathisanten-Szene gezählt werden.
Gehören nicht die drei Formen des gewaltsamen Todes im Neuen Testament zusammen: die Enthauptung des Täufers, die Kreuzigung Jesu und die Steinigung des Stephanus?
Sind der Orion und die Plejaden die Repräsentanten des Tierkreises und der Planeten am Fixsternhimmel? Und auf wen bezieht sich das Binden, und auf wen das Lösen (vgl. Hiob 3831 und 99)?
Kinder haften für ihre Eltern: Der biblische Satz „Wenn dein Sohn dich fragt …“ bezieht sich auf die Weitergabe der Lehre vom Vater auf den Sohn, der 68er Satz „Wenn meine Kinder mich einmal fragen …“ dagegen auf den Rechtfertigungszwang, unter dem das Bewußtsein in Deutschland seit dem Ende des Faschismus steht. Dieser Satz gehört zu dem Schwarzen Loch, das der Faschismus erzeugt hat, das die Lehre nur noch in sich hereinsaugt und ihre Vernichtung befördert, aber nicht mehr ausstrahlt.
Holgers Waschsalon: Sind heute nicht alle religiösen Positionen besetzt von Gruppen, die die Religion als Exkulpationsmaschine (als Hilfe, ihre Schuldgefühle loszuwerden, als synthetische Kuschelecke) brauchen? Dem hat die Theologie schon seit der Zeit der Kirchenväter vorgearbeitet. Aber konvergiert nicht dieser Exkulpationstrieb auf eine ebenso erschreckende wie verhängnisvolle Weise mit der Tendenz, die Religion zugleich in eine Religion für andere umzuformen: in ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft?
Creatio mundi ex nihilo: Produkt einer projektiven Erkenntnislogik, die eigentlich auf ein Stück Urgeschichte des Kapitalismus sich bezieht, auf die Vorgeschichte der Kreditschöpfung der Banken? Die Risiken der Banken sind die Risiken der Sparer, die Risiken der Unternehmer sind die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz auf dem Spiel steht, und die Risiken des Krieges sind die der Bevölkerungen, deren Anteil an den Opfern der Kriege den des Militärs inzwischen weit übersteigen. Die Risiken der Entscheidungen haben heute nicht mehr die zu tragen, die sie treffen, sondern die, für die sie getroffen werden (Anmerkung zu den Begriffen Verantwortung und Repräsentation).
„Soll aber der Mensch noch einmal in die Nähe des Seins finden, dann muß er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren“ (Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, S. 150, zitiert nach Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 208). Die Begründung ist einfach: Weil das Sein den Namen löscht, alles gleichnamig macht. Wenn Derrida in diesem Zusammenhang auf die Kabbala verweist (auf die „unaussprechbare Möglichkeit des Namens“), so weiß er nicht, wovon er redet. Das Ziel der Kabbala war die Heiligung des Gottesnamens, während die Ontologie seit je darauf abzielte, den Gottesnamen zu tilgen.
War die Ontologie (das „Sein“: die Installierung des Urteils) das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat? -
19.11.95
Astrologie: Grenz- und Selbstreflexion der Organisation der staatlichen Gemeinschaft im Medium der Astronomie, Planeten als gegenständliche Verkörperungen der inneren Repräsentation seiner Außenbeziehungen. Zentrale Funktion der Venus im astrologischen Konzept (Funktion der „Verehrung“, der Idolatrie; Trennung der Liebe von der Sexualität zusammen mit der Konstitution des Weltbegriffs und der Verdrängung der Herrschaftskritik; Wiederkehr der verdrängten Geschichte der „Venus-Katastrophe“ in der frühmittelalterlichen Minne, auch der devotio moderna, Zusammenhang mit dem Ursprung des Zölibats, der Ohrenbeichte, des Fegfeuers, der Armutsbewegung).
Ist die Venus nicht die weibliche Seite des Mars (Schönheit und Ehre, Begierde und Krieg)? Entspringt nicht hier der Begriff der Liebe, den das Christentum durch Desexualisierung zu reinigen versucht hat (der dann dazu beigetragen hat, die Idee der Barmherzigkeit zu verdrängen, einen von der Idee der Barmherzigkeit gereinigten Weltbegriff zu begründen)?
Wenn Hegel die Außenbeziehungen der Staaten (in denen das Königtum, der Krieg, der Handel und die Ehe sowie das weltkonstituierende Inzestverbot begründet sind) als Naturbeziehungen beschreibt, heißt das nicht auch, daß die Formen dieser Außenbeziehungen die Konstellation beschreiben, in denen der Naturbegriff einmal entsprungen ist (Zusammenhang des Naturbegriffs mit dem Begriff der Barbaren, gemeinsamer Ursprung und gemeinsame Logik beider)?
Wenn es heißt, daß Gott die Erde gegründet und den Himmel aufgespannt hat, bezieht sich das auf die Planeten und den Tierkreis (sind die Planeten die Säulen der Erde)? Und fällt in diesem Zusammenhang nicht ein Licht auf das Wort in der Verheißung an Abraham von den „Sternen des Himmels“ und dem „Sand des Meeres“?
Sind die großen Seeungeheuer unterhalb oder oberhalb der Vögel des Himmels (gehören sie zu den unteren oder zu den oberen Wassern)?
Richtig und wahr, oder über das Verhältnis der Orthodoxie zur Orthogonalität (des Dogmas zur Geschichte der Naturwissenschaften): Das Richtige (die Orthodoxie ebenso wie die naturwissenschaftlich objektivierte Welt) ist gnadenlos, während die Idee der Wahrheit die der Versöhnung, der Befreiung, der Erlösung mit einschließt.
Das Christentum hat durch sein Bündnis mit der Herrschaft die Gnadenlosigkeit der Welt ratifiziert (und die Wahrheit egozentrisch deformiert).
Gordischer Knoten: Das All entspringt mit der Trennung von Natur und Welt; und die Reflexion der Todesangst, die Franz Rosenzweig zufolge das All sprengt, ist die Reflexion dieser Trennung.
Der Begriff des Seins gewinnt seine emphatische Bedeutung nur aus seiner Beziehung zum Gottesnamen, dessen entfremdete, entstellte und verzerrte Erinnerung in ihm sein letztes Echo findet. Die Fundamentalontologie Heideggers ist die Selbstreflexion des Seins im Bann dieser Enfremdung und Entstellung.
Zoon politikon: Der Ursprung der subjektiven Formen der Anschauung ist politisch, herrschaftsgeschichtlich vermittelt. Modell des Objektbegriffs ist die Ware, der mit dem Handel (genauer: mit dem Fernhandel) sich bildet. Zu den ersten Waren gehören der Raub und die Kriegsbeute: neben den geraubten Gütern auch die Gefangenen, die als Sklaven für den Eigengebrauch wie für den Markt gewinnbringend genutzt wurde. Die Fremdheit der Dinge gründet in der Fremdheit der anderen Völker, Stämme, Sprachen und Nationen. -
14.11.95
Kanthers entlarvende Entgleisung: sein Wort von der Hetze (die von Seiten der Hessischen Landesregierung oder des Bundesrates gegen die Asylpolitik des Bundes betrieben werde), über die gestern in der Hessenschau berichtet wurde, wird in der FR von heute nicht erwähnt.
„Kriegsgräberfürsorge“. Was ist das, was die Deutschen nicht vergessen können; wird nicht mit den „Kriegsgräbern“ nicht etwas ganz anderes gepflegt: ein Rachepotential, das aus einer „Heldenverehrung“ erwächst, aus der Erinnerung an „Opfer“, die eigentlich Täter waren, aber als Opfer erinnert werden, das nicht umsonst gewesen sein darf? Das Selbstmitleid der Täter, die keinen Erfolg hatten, deckt die Schreie der wirklichen Opfer zu, macht sie unhörbar. Und die Erinnerung an die Täter rechtfertigt nachträglich ihre Untaten. Soll es wirklich so weit kommen, daß eines Tages die Täter an den Schreien der Opfer sich rächen?
Ist der Titel kyrios, Herr, einer, der nur für die Apostel gilt (und für die „apostolische“ Kirche)? Er knüpft an an ein Verständnis der Auferstehung, das der Nachfolge den Weg versperrt.
Die Verinnerlichung des Opfers und die Spiritualisierung des Martyriums sind zwei Seiten ein und derselben Sache, ihr gemeinsames Produkt ist der Confessor, die Verkörperung der Bekenntnislogik. Zum Confessor gehört die Virgo; beide weisen zurück auf ihren gemeinsamen Ursprung im Martyrium, im Blutzeugnis: Die Virgo ist das Bild des Opfers, das als Opfer, durchs Nichthandeln, unschuldig ist, während der Confessor als Täter zwar in den Schuldzusammenhang sich verstrickt, aber durchs Bekenntnis aus dem Bann der Schuld sich zu lösen vermeint: sich selbst als unschuldig erfährt. Das Bekenntnis des Glaubens (das nicht identisch ist mit dem Bekenntnis des Namens, das zur Nachfolge gehört) ist ein umgekehrtes Schuldbekenntnis, ein bindendes, kein lösendes. Gründet nicht in dieser Konstellation, die am Bild der Unschuld anstatt an der Idee der Befreiung sich orientiert, die Bedeutung und Funktion der Sexualmoral, die als Ersatz für die Reflexion von Herrschaft eintritt, zugleich aber die Reflexion selbst für Herrschaftszwecke instrumentalisiert (das Produkt der für Herrschaftszwecke instrumentalisierten Reflexion ist die transzendentale Ästhetik, sind die „subjektiven Formen der Anschauung“ Kants und deren transzendentallogische Äquivalente: das Geld und die Bekenntnislogik)?
Der Faschismus ist auch ein sprachlogisches Problem, das nur zu lösen ist im Kontext der Heiligung des Gottesnamens. -
13.11.95
Ist die Bezeichnung der Urkirche als „Sekte“ nicht ebenso konsequent wie anachronistisch, wenn man – wie Wayne A. Meeks – die gesamte Eschatologie, das apokalyptische Element in der paulinischen Theologie, nur als ein Instrument der Gemeinschaftsbildung (der Bindung nach innen und der Abgrenzung nach außen) begreift? Der Begriff der Soziologie, der den Erörterungen Meeks‘ zugrundeliegt, projiziert die Gegenwart in die Vergangenheit, weil er von der politischen, herrschaftsgeschichtlichen Reflexion abstrahiert.
An der Zeit wäre eine Kritik der Naturwissenschaft, die sie nicht „widerlegt“, wohl aber die Wunde, die sie geschlagen hat, erfahrbar macht.
Das Inertialsystem hat die subjektiven Formen der Anschauung Kants nicht nur vergegenständlicht, sondern zugleich die Zeit unter die Form der äußeren Anschauung subsumiert. Das war der Preis für die Konstruktion des Inertialsystems. Aber ist nicht in der gleichen Bewegung der Raum zu einer Form der inneren Anschauung geworden: zur Grundlage und zum Medium der subjektiven „Vorstellungen“, zum Phantasieraum?
Verletzt nicht der Rassebegriff, die Vorstellung von Erhaltung der Reinheit des Blutes, indem er der Exogamie den Weg verstellt, das Inzestverbot (Zusammenhang mit dem modernen Naturbegriff!)?
Der „Mantel der Nächstenliebe“ übt Gnade für die Täter, aber er ist gnadenlos gegen die Opfer.
Die Maschine, die Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes als das Reifen des sich bildenden Geistes mißversteht (Bd 3 der Theorie-Werkausgabe, S. 18), hat nach Hegel weitergearbeitet, sie hat sich durch die Idee des Absoluten nicht bremsen lassen.
Im Rahmen einer Kritik der Beweislogik wäre nachzuweisen, daß es Beweise gibt, die das genaue Gegenteil dessen beweisen, was sie zu beweisen vorgeben. Darauf bezieht Benjamins Satz „Überzeugen ist unfruchtbar“. Die Kritik des ontologischen Gottesbeweises ist unter Berücksichtigung Hegels nach Kant über Kant hinauszutreiben.
Im Lateinischen heißt Beweis demonstratio. Dr Begriff und die Methode des Beweises stammen aus der Geometrie (von Euklid bis Spinoza).
Steckt nicht in jedem Beweis etwas vom Anspruch der Intersubjektivität, der dem andern bedeutet, dem eigenen Denken zu entsagen. Der Beweis fordert die Unterwerfung unter eine Logik, die – allerdings nicht grundlos – zu durchbrechen wäre. Es ist kein Zufall, daß die Formalisierung der Logik zu Lasten der Logik der Begründung geht. Die Argumentation appelliert auch an die Namenskraft der Sprache, in der der Satz „Wer A sagt, muß auch B sagen“, nicht unbedingt gilt.
„Rede von Gott“: Die Rede ist per definitionem monologisch. Ihr Adressat ist nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft: ein Kollektiv. Wer einen einzelnen „zur Rede stellt“, will, daß er sich „unterordnet“, in eine ihm vorgeordnete Gemeinschaft wieder eingliedert. Reden erwarten keine Antwort, vielleicht Beifall, aber niemals Widerspruch. Die Rede ist die säkularisierte Predigt. Keine Rede ohne Selbsterhöhung, ohne die Hybris des Redenden. Es ist diese Hybris, die sich den Hörern mitteilt (und die von ihnen erwartet wird). Hitler war in erster Linie, wenn nicht sogar ausschließlich, ein Redner. Seine politischen Handlungen waren Inszenierungen, die den Raum, den Resonanzboden, für seine Reden bereiten sollten (der Zusammenbruch des Faschismus war der Zusammenbruch dieses Raumes: danach, ohne diesen Raum, war Hitler ein Nichts, nur noch eine komische Figur: einer, der sich grundlos aufregt). Es gibt keine Rede ohne Ritual, ohne standardisierte Argumentation, auch ohne den spezifischen Ton der Rede. Die Rede lebt von dem Klima der Empörung, das sie erzeugt (darin gleicht sie dem Gerede, mit dem sie unter dem beiden gemeinsamen Bann von Rechtfertigungszwängen steht, auf deren Instrumentalisierung, die ausschließlich über die Mechanismen der Empörung läuft, sie abzielt). Ziel der Rede ist es, Emotionen zu wecken, „Hunde hinterm Ofen hervorzulocken“. Für die Hörer ist die Rede der Handlungsersatz (das moralische Alibi) der Ohnmächtigen. Das Grundmodell der Rede ist die antisemitische Rede. Reden sind ghettobildend: Sie „überzeugen“ nur die eigenen „Anhänger“, andere erreichen sie nicht mehr.
Zum Begriff der Rede: Jemandem „ins Gewissen reden“ heißt, ihm das Gewissen ausreden. -
10.11.95
Hegels Logik steht unterm Bann des Dingbegriffs, sie ist eine Dinglogik. Sie vermag den Knoten, der das Ich mit dem Ding verknüpft, nur zu reflektieren, nicht zu lösen.
Der Weltbegriff ist das Produkt und die Organisationsform der Selbstreflexion des Andersseins der Dinge (ihrer Erscheinung). Hieran läßt sich erkennen, daß der Andere und das Fremde nicht nur nicht bedeutungsgleich sind: Der Fremde erscheint als Fremder im Kontext der Selbstreflexion des Andersseins. Der Fremde ist das Realsymbol der ausschließenden Gewalt des Weltbegriffs (an ihm läßt der nationale Grund des Weltbegriffs sich ablesen).
Oben und unten: Welcher Logik ist es zu verdanken, wenn der Rassismus mit Rangordnungsstrukturen, mit Wertordnungen und hierarchischen Abstufungen verbunden ist, mit paranoiden Verschwörungskonstrukten und mit Reinheitszwängen: mit einem Hygienezwang, der bis zum Genozid fortschreitet? Ist nicht der Antisemitismus in der Tat die Wurzel des Rassismus (und nicht nur eine seiner Erscheinungesformen)? Welches objektiv destruktive Potential steckt nicht in der Verharmlosung des Rassismus zur Weltanschauung, die ihn der Bekenntnislogik unterwirft, die selber ein Ausfluß des Rassismus ist, nicht seine Grundlage.
Ist der kyrios als messianischer Titel Jesu der über die LXX vermittelte Gottesname adonai, der Deckname des Tetragrammatons, das selber nicht ausgesprochen werden durfte? Was bedeutet es, wenn dieser Deckname dem Christus Jesus zuerkannt wird, gleichzeitig aber das Tetragrammaton ersatzlos verschwindet? Der Name des Vaters benennt ihn bloß, er ist kein Name, in dem sich Gott selbst zu erkennen gibt.
Ist das Dogma der Tempel, mit dem Opfer als Grundlage: das Haus seines Namens? Läßt sich die Geschichte des Dogmas (die bruchlos in die naturwissenschaftliche Aufklärung übergeht) an der Geschichte der Architektur des Kirchenbaus ablesen? Hat Hegel nicht die Geschichte der Architektur als die Geschichte der Organisation der Schwere und des Lichts aufgefaßt und beschrieben? Ist hier nicht das Verbindungselement, das das Dogma mit der naturwissenschaftlichen Aufklärung verbindet?
Hören und Sehen: Die Nacktheit (da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren) verweist auf die Entkleidung der Dinge, ihr Herausfallen aus dem (paradiesischen) seligen Sprachgeist. Nackte Tatsachen sind obszön, und die subjektiven Formen der Anschauung, in deren Kontext sie sich konstituieren, sind der Unzuchtsbecher der Apokalypse. -
26.10.95
„Kickerinnen erfüllen ihre Pflicht souverän“: Überschrift zum Bericht über einen Sieg der deutschen Frauen-Nationalmannschaft über die Slowakei (FR von heute). – Bei Kant war die Pflicht ein Ausfluß des autonomen Gewissens, ihr Rechtsgrund das moralische Gesetz in mir. Hier ist die Pflicht die Pflicht zu gewinnen, die alle Verlierer (und mit ihnen alle, die nicht dazugehören, von den Armen über die Behinderten bis hin zu den Fremden) zu Pflichtvergessenen macht. Aber es gibt keine Gewinner ohne Verlierer, nur darf man zu diesen nicht gehören. Das ist die Botschaft dieser Überschrift.
Die Medien verhalten sich zur Realität wie zur Natur oder zur Vergangenheit, die auch dem ändernden Eingriff entzogen sind. Die Realität ist als Gegenstand der Information bloßes Objekt des Wissens. Sie läßt sich nicht ändern, nur noch „bewerten“, das aber heißt: als Instrument der Verurteilung der Schuldigen nutzen. Deshalb sind die eigentlichen Gegenstände der Medien das Verbrechen und die Korruption. Was die Realität zu etwas Unveränderlichem (und d.h. zum Gegenstand der Information) macht, ist in der Natur der Raum, in der Ökonomie das Geld (als abstrakter Repräsentant des Eigentums anderer), in der Politik die Gewaltstruktur des Staates, in der Religion die Bekenntnislogik.
Gibt es Geld, das niemandes Eigentum ist, das niemandem gehört? Wer ist der Eigentümer des Geldes, das die Bundesbank druckt, lagert und verwaltet, bevor sie es herausgibt? Gewinnt das Geld seine Funktion, Eigentum zu repräsentieren, erst im Umlauf, im Gebrauch?
Ignaz Bubis hat in diesen Tagen den Versuch, die Verbrechen der Nazizeit zu erklären, mit der Bemerkung zurückgewiesen, daß das Erklären der Verbrechen dahin tendiert, sie auch zu rechtfertigen. Aber wird mit dem Erklären, das auch den Versuch zu begreifen berührt, nicht auch das Lernen ausgeschlossen? Und hat nicht, wer Kritik der Vergangenheit mit ihrer Verurteilung verwechselt, Angst davor, daß sich wirklich etwas ändert? Der Versuch, die Greuel zu begreifen, kann vor der Normalität heute nicht halt machen (aber kein Zweifel: es gibt auch ein Erklären, das der Absicht folgt, diese Normalität nicht in Frage zu stellen, den kritischen Impuls stillzustellen).
Die Mechanik, deren Aufgabe es war, das Referenzsystem der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu begründen und zu entfalten, mußte insbesondere von zwei materiellen Eigenschaften abstrahieren: von der Schwere und vom Licht. Erst Newton ist es gelungen, mit dem Gravitationsgesetz und in seiner Optik das Verdrängte ins neue System zu integrieren.
Die kopernikanische Wende ist das Gegenstück zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals.
Sind die Schwerkraft und das Licht invers aufeinander bezogen, und kann man sagen, daß die Philosophie einmal unterm Zeichen des Lichts, die Prophetie unter dem der Schwerkraft (dem sie ihre Einsichten abgewonnen hat) angetreten ist?
Welche Bedeutung hat es, wenn die Gravitationstheorie ihrem ursprünglichen Konzept zufolge eine Fernwirkungstheorie ist, die Elektrodynamik hingegen (wie die Mechanik) auf räumlich unmittelbar verknüpfte Ereignisse und Prozesse sich bezieht.
Haben die Christen nicht schon viel zu lange das von ihnen so genannte Alte Testament als eine Selbstdenunziation der Juden verstanden? Da waren die Autoren der Kirchengeschichte von Eusebius his heute schlauer.
Erinnerungsarbeit bereitet die Auferstehung der Toten vor (praeparatio resurrectionis mortuorum: Abbau der Sperren, die der Auferstehung im Wege stehen).
Im Protokoll des Pfarrgemeinderats vom 12.9.95 wird gegen das Kirchen-Volksbegehre eingewandt, daß der wichtigste Punkt, die Ausbreitung des Glaubens, nicht angesprochen werde. Wäre nicht der wichtigste Punkt die Ausbreitung der Erlösung, die dann allerdings die Rückübersetzung der kirchlichen Drohbotschaft in die urspüngliche Frohbotschaft voraussetzen müßte: die Ausbreitung des Evangeliums, nicht des Glaubens?
Aus dem gleichen Protokoll: „… damit sich dieser (sc. der neue Pfarrgemeinderat) diesem Thema annimmt.“ Nach Wahrig muß hier eindeutig der Genitiv stehen („damit sich dieser dieses Themas annimt“). Der Dativ ist ein Produkt der Medienlogik, in der auch eine Handlungsanweisung nicht mehr als Handlungsanweisung, sondern nur als Information darüber erscheinen darf. Die Bedeutung verschiebt sich vom „Sich-einer-Sache-Annehmen“ (mit dem Genitiv), das die Bearbeitung der Sache, ein Handeln, mit einschließt, auf das „Sich-einer-Sache-Widmen“ (mit dem Dativ), das die Sache als vorgegeben und unveränderlich hinnimmt, darüber kritiklos („wertfrei“) berichtet, informiert. Nur der Journalist ist so selbstlos: er widmet sich der Sache, der er sich annimmt (sofern er die ungeheuerliche grammatische Logik, die in dieser Wendung steckt, überhaupt noch begreift; sie paßt nicht mehr in einen Weltbegriff, der aufgrund der Logik der Medien Information und Wissen strikt von Meinung und Handeln zu trennen gezwungen ist). Ich glaube, von Hajo Friedrich stammt der Satz, daß ein Journalist sich nicht mit einer Sache gemein machen dürfe, auch nicht mit einer guten Sache. Wenn der Hogefeld-Prozeß keine Öffentlichkeit mehr hat, so hängt das hiermit zusammen: Dieser Sache müßte man sich annehmen, man dürfte sich ihr nicht mehr nur widmen. Mit dieser Sache müßte man sich gemein machen.
Auch ein Beitrag zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (dessen Folgen in der gleichnamigen Arbeit von Habermas sich ablesen ließen, in der dann die Weichen für seine spätere Kommunikationstheorie, die die kritische Theorie kastriert hat, bereits gestellt worden sind): Schließt die eigene Logik der Medien politische Kritik nicht schon im Ansatz aus, enthält die Verpflichtung auf „wertfreie Information“ nicht eine Handlungsanweisung, die der Gemeinheit den Weg freimacht? Dem Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, hat, bevor er zu einem juristischen Satz geworden ist, schon ein logischer Sachverhalt zugrunde gelegen, der zu den Grundlagen des Weltbegriffs gehört. Es ist nicht nur eine Gesinnungsfrage, wenn die Medien wie die Justiz in der Regel auf dem linken Auge blind sind. Die Wahrheit hat einen Kern, der einsehbar, aber nicht beweisbar ist (darin liegt der logische Vorteil der Gemeinheit, die diesen einsehbaren Kern der Wahrheit leugnen kann, ohne fürchten zu müssen, widerlegt zu werden: Gemeinheit ersetzt Einsicht durchs Vorurteil). -
25.10.95
Die Verluste, die den spekulativen Gewinnen gegenüberstehen, werden nicht von denen getragen, die sie eigentlich verantworten müßten. Die wirklichen Verlierer sind die, die in der Folge solcher Spekulationen den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchten müssen, ihn im Ernstfall verlieren (Metallgesellschaft, AEG, Volkswagen).
Der Vorstellung des leeren Raumes korrespondieren in der Ökonomie die Schulden, im Ernstfall die Besitzlosigkeit, die Armut. Der Begriff des horror vacui gründet in dieser Beziehung. Wenn Kant den ontologischen Gottesbeweises durch den Hinweis widerlegt, daß 100 gedachte Gulden den Beutel nicht füllen, so trifft das genau diesen Sachverhalt. Der Begriff des Nichts in der Lehre von der creatio mundi ex nihilo gewinnt Bedeutung nur, wenn er auf diesen Zusammenhang der Vorstellung des leeren Raumes (die bei Kant als subjektive Form der Anschauung sich erweist) mit dem Begriff der Armut sich bezieht (vgl. die „Geldschöpfung“ der Banken). Der Satz aus Hegels Rechtsphilosophie, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug sei, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, drückt diesen Zusammenhang aufs genaueste aus. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beziehung der kopernikanisch-newtonschen Wende in der Astronomie, zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und zum politischen Absolutismus als Ausdruck einer gemeinsamen Logik.
Das Vakuum, die Vorstellung des leeren Raumes (die subjektive Form der äußeren Anschauung), und deren gesellschaftliches Korrelat, die Schulden und die Armut, sind das genaue Korrelat des Kelch-Symbols.
Zur gesellschaftlichen Funktion des Raumes, der subjektiven Form der äußeren Anschauung, gehört es, alle Dinge eigentums- und tauschfähig zu machen. Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Statthalter des Staates im Subjekt.
Verhält sich nicht die schwere zur trägen Masse wie das Geld zur Ware? Und in welcher Beziehung stehen das Ätherproblem und seine Konkretisierung: der Korpuskel-Welle-Dualismus und dessen statistische Interpretation, zum Problem der Tätigkeit der Banken und des Buchgelds?
Wenn Dirk Baecker die Risiken zum eigentlichen Objekt des „Handels“ der Banken, zur Ware, mit der die Banken handeln, macht, so verweist das genau auf das Schuldenverschubsystem, die Fähigkeit, diese Risiken so zu handeln, daß sie die Banken selbst nicht treffen, nicht an ihnen hängen bleiben. Die Tätigkeit der Banken gehört zum Apparat der Umverteilung des „Reichtums“ und der Erzeugung der Armut.
Ist nicht die der katholische Heiligen-Mythos ein Produkt der Verdinglichung und Personalisierung des Gebots der Heiligung des Gottesnamens?
Der Weltbegriff, der alles, was er begreift, eigentumsfähig macht („säkularisiert“), gehört zum Staat, weil der Staat als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern sich konstituiert. Dagegen ist das Heilige das Nicht-Eigentumsfähige: Ziehe deine Schuhe aus, denn hier ist heiliger Boden.
Hat die Erbsünde nicht etwas mit der Sünde der Welt zu tun: Was mit der Erbsünde sich vererbt, ist die instrumentalisierende Gewalt und sind die darin gründenden logischen Verstrickungen des Weltbegriffs (unter dessen Bann das Tier steht).
Die Gemeinschaft der Heiligen ist eine Gemeinschaft, deren Mitglieder aus den realen und logischen Verstrickungen des Eigentums sich gelöst haben. Deshalb gehört das Armutsgebot zu den evangelischen Räten. -
20.10.95
Nach Ton Veerkamp haben die hellenistischen Städtegründer das in den Tempeln gehortete Geld geplündert und in die Zirkulation geworfen (Autonomie und Egalität, S. 245). So wurde das Gold zum „unbewegten Beweger“, zu einem Gott, der alles beherrscht und den nichts gereut (gegen diesen „Hellenismus“ richtete sich die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel). Ist dieser unbewegte Beweger durch Kopernikus/Newton nicht säkularisiert worden; hat nicht die Gravitationstheorie der aristotelischen Metaphysik, indem sie sie zur Physik machte, den Garaus gemacht? Vorbereitet war diese Geschichte in der der politischen Ideologie, in der der Herrscher, der Monarch, sich immer schon im Bild der Sonne gesehen hat, des Zentralgestirns, das nicht nur den Tag, sondern auch die Bewegungen der Planeten sowie die die Nacht und den Tag begleitenden Mondphasen beherrscht. Hat die Einführung der Goldwährung (wann erfolgte sie, war’s Babylon, waren’s die Perser oder die Griechen?), die die Silberwährung abgelöst hat, damit etwas zu tun?
Die Materialisierung der Sonne durchs Gravitationsgesetz ist das naturphilosophische Pendant zur Geschichte der Privatisierung der Herrschaft (zum Barock).
Die Verdrängung der Vergangenheit (die der Weltbegriff automatisch leistet) hat den einfachen ökonomischen Grund: An die Opfer, die in die Fundamente der Welt, in der wir leben, mit eingemauert sind, soll nicht mehr erinnert werden. Religion ist das Ensemble der Vorkehrungen, mit denen diese Erinnerung neutralisiert wird (sie zu löschen ist nicht möglich). Die kirchlichen Vorstellungen von Hölle und Fegfeuer haben diese neutralisierte Erinnerung ins Symbolische verschoben. Aber werden die Opfer nicht real erinnert im Namen des Feuers, der ein Teil des Namens des Himmels ist? Dieses Feuer wurde zu Hölle und Fegfeuer mythologisiert in dem Augenblick, in dem der Name des Himmels von der Idee (vom Namen) des Ewigen getrennt, ins Überzeitliche verschoben wurde. Seitdem ist in den Himmeln kein Gott mehr. Der katholische Mythos von Himmel, Hölle und Fegfeuer ist die unmittelbare Folge der Historisierung des Himmels, die ihn zeitlich mit der irdischen Geschichte parallelisiert, beide unter ein gemeinsames Zeitkontinuum subsumiert. Ist die katholische Lehre von den Heiligen im Himmel über uns nicht eine Ersatzbildung für die versäumte Heiligung des Gottesnamens, die stellvertretend den Heiligen im Himmel übertragen wird (ähnlich wie die Ohrenbeichte die Versöhnung mit den Opfern stellvertretend den zölibatären Priestern überträgt)?
Führt die kantische Philosophie nicht den Beweis, daß wir in den Fundamenten der Welt mit enthalten sind, und lassen die Naturwissenschaften nicht als das verzweifelte Bemühen sich begreifen, das Bewußtsein davon nicht aufkommen zu lassen?
Die Naturwissenschaften leugnen die Erbsünde und die Auferstehung. Sie haben nicht nur teil an der Erbsünde, sondern sind das Instrument ihrer Totalisierung. Sie gehören zur sadduzäischen Tradition.
Ist Elohim der Gott, der sieht, der NAME hingegen der Name des Gottes, der hört (der Name des Gottes der Propheten)? Im Schöpfungsbericht ist das Gute etwas, das gesehen wird: Gott sah, daß es gut war; diesen Sehen wird am Ende verstärkt durch den Imperativ „siehe“: Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Was an den ersten Tagen für Gott gut war, wird am Ende für alle sehr gut. Aber nachdem sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen hatten, gingen den Menschen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Die Augen gingen ihnen auf, als sie lernten, sich in den Augen der anderen zu sehen. In der Scham sehe ich mich mit den Augen der andern, die nicht ins Herz sehen (nur Gott sieht ins Herz der Menschen).
Positivismus: Die Strafe für die verweigerte Reflexion ist das Mit-dem-Kopf-gegen-die-Wand-Rennen, das die progressiven Teile der Physik heute kennzeichnet.
Was hat die Asymmetrie in meiner Beziehung zu den Andern mit der Asymmetrie im Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft zu tun? Universalität, Allgemeinheit gründet im Vorrang des Andern ebenso wie in dem der Vergangenheit.
Ökonomie und Physik haben den Himmel ehern und die Erde zu Erz gemacht.
Naturschutz: Die Verwaltung hat die Natur in Schutzhaft genommen.
Der Naturschutz vollstreckt die Rache des Staates an einem Begriff, der seinen logischen Grund verloren hat: an dem des Naturschönen. Diese Rache trifft mit dem Naturschönen auch die Kunst.
Der faschistische Modernisierungsschub gründet in einer vertrackten Logik, die sich daran erkennen läßt, daß Kunst und Kitsch nicht mehr sich unterscheiden lassen. Wenn es schien, als sei von der Kunst gleichsam nur noch die Aggression gegen den Kitsch übriggeblieben, so war diese Aggression von Anbeginn umkehrbar, eigentlich der Anfang der Selbstzerstörung der Kunst. Heute will niemand mehr an die Folgen seines Tuns erinnert werden.
Die Benennung der Tiere durch Adam hat nicht nur die Tiere, sondern auch die Dinge zum Verstummen gebracht. Das Zeichen für dieses Verstummen ist der Tierkreis. Deshalb enthält der Tierkreis auch so merkwürdige Dinge wie die Zwillinge, die Jungfrau und die Waage.
Hat dieses Verstummen etwas mit dem des Helden, des Heros (Rosenzweig/Benjamin) zu tun, der auch verstummt, bevor oder wenn er an den Himmel versetzt wird (oder der an den Himmel versetzt wird, weil er ins Erhabene verstummt?). Verstummen macht ihn die Gewalt des Schicksals.
Ist es nicht ein Unterschied, ob man einen Rat vor einer Handlung (in der Phase der Überlegung) oder danach (nach der Tat) erteilt? Der Rat post festum, der eigentlich ein Urteil ist, ist eine Falle, aus der der, der dann schon gehandelt hat, nicht mehr herauskommt. Sind nicht alle Urteile Ratschläge post festum, die Falle, aus der es für das Objekt keinen Ausweg mehr gibt, in dem es allerdings auch erst zum Objekt wird? Der Objektbegriff bezeichnet genau diese Ausweglosigkeit. Wie hängt diese Objekt-Falle mit der Beziehung des Objektbegriffs zur Herrschaftsgeschichte zusammen?
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